4.3.2009

Der taumelnde Globus - Notiz zur Finanzmarktkrise

Eigentlich sollte ich nur kurz auf das Essay von Tomasz Konicz zur Geschichte der Wirtschaftskrise verweisen (Teil 1, Teil 2, Teil 3), und mich für heute verabschieden, um niemandem die Zeit zu stehlen, diese Analyse zu lesen - sie ist das Beste, was ich zu dem Thema gefunden habe, und bietet einen gut lesbaren, von marxistischem Jargon gänzlich freien Einblick in die Zusammenhänge zwischen Real- und Finanzwirtschaft. Trotzdem muß ich ein paar Notizen los werden, die letztlich die Sicht von Konicz zusammenfassend paraphrasieren (man sollte wohl besser das Original lesen).

Ich hatte bereits darauf hingewiesen, daß es zur Erklärung der derzeitigen Krise keineswegs ausreicht, auf die „gierigen Manager” zu verweisen und womöglich so zu tun, als könnte man das Schlamassel in den Griff bekommen, indem man die Gehälter der Bosse kürzt. Festzuhalten wäre, daß Wert ausschließlich durch die Verausgabung menschlicher Arbeit geschaffen wird - daran ändern auch andersweitige Beteuerungen von Finanz- und Bankmanagern nicht das mindeste. Wert = Arbeit - und nur auf der Basis dieser Gleichung kann man erklären, wie und warum das ganze System zur Zeit kollabiert.

Der Kapitalismus beruht auf einem steten Wachstum, das grenzenlos immer mehr Waren hervorbringt - hervorbringen muß. Das in die Produktion investierte Kapital muß sich nämlich rekapitalisieren, also einen Profit erwirtschaften. Da die Konkurrenz auf dem Markt immer demjenigen einen Vorteil verschafft, der möglichst billig produziert, wächst die Produktivität. Man muß unter Einsatz der gleichen Arbeitskraft immer mehr produzieren.

Die in diesem Prozeß stetig steigende Zahl an Gütern muß in irgendeiner Weise auf dem Markt umgesetzt werden, der jedoch irgendwann schlicht gesättigt ist. Damit eine Wirtschaft weiter wachsen kann, braucht sie entweder neue Märkte, oder aber neue Produkte.

Nachdem mittlerweile jeder Winkel der Welt zum Teil des globalen Marktplatzes wurde, bleibt letztlich nur noch die Erfindung neuer Technologien, um weiteren Wachstum zu generieren. Die letzte Innovationswelle lag in der Entwicklung der Computer. Schon dort sieht man den unliebsamen Nebeneffekt, daß einem gewaltigen Fortschritt in der Rationalisierung der Güterproduktion ein völlig unzureichender Anstieg in der Produktion neuer Güter entgegensteht.

Der Zuwachs der durch die Computertechnik verursachten Produktivität der gesamten Wirtschaft übertraf sehr rasch den Wert aller neu benötigten Hardware und Infrastruktur (Fabriken, in denen Prozessoren hergestellt werden; Verlegen von Glasfaserkabeln etc.). Es wurden nicht nur weitaus mehr Arbeitsplätze in der „klassischen” Industrie vernichtet, als durch die Computerarbeit neu entstanden, sondern das Sinken der Profitrate durch die neu gewonnene Produktivität wurde in nur geringfügigem Maß durch das Entstehen neuer Märkte aufgefangen, in die man den neu gewonnenen Überschuß hätte verkaufen können.

Schon sehr früh, Mitte der 70er Jahre, übernahm mehr und mehr die Finanzindustrie die Rolle des Schrittmachers für das kapitalistische Wirtschaftssystems: die Profitraten in der Realwirtschaft fielen zu dieser Zeit auf einen Punkt, wo es sich schlicht nicht mehr lohnte, in neue Fabriken zu investieren. Mit der Aufhebung der Goldbindung des Dollars 1973 begann die Phase des Spätkapitalismus, in der Geld und Ware sich endgültig voneinander entkoppelten.

„Gold” war die letzte Warenform des Geldes.

Seitdem kann man die Notenpressen anwerfen, sprich: sich auf Pump finanzieren, ohne daß das irgendwelche Folgen hat - natürlich nur bis zu einem bestimmten Punkt.

Dow-Jones-Index


Obenstehende Graphik zeigt die Entwicklung des Dow-Jones-Index aus einer großen Perspektive (Quelle: Wikipedia). Tomasz Konicz kommentiert:

Deutlich wahrnehmbar ist das Platzen der ersten Spekulationsblase im Hightech-Sektor um 2000, deren Effekte erst ab 2003 überwunden werden und der Dow Jones in den letzten Höhenrausch verfällt. Nur sehr schwer ist hingegen die Spekulation auszumachen, die 1929 der bislang verheerendsten Weltwirtschaftskrise vorausging, dem Faschismus Auftrieb verschaffte und mittelbar in das Gemetzel des Zweiten Weltkrieges führte. Damals stiegen die Aktienkurse zwischen 1921 und 1929 um fast 500 Prozent an.

Wenn man im Blick behält, daß die Realwirtschaft bis ca. 1985 dieselben (eher etwas geringeren) Zuwachsraten aufwies wie der Dow-Jones, wird auf Anhieb klar, in welch ganz unglaublichem Maß die Finanzwelt sich von der Realität verabschiedet hat, und welch ein gigantischer Einschnitt uns erst noch bevorsteht. Die 500 Mrd. Dollar, die ursprünglich für das Bailout in den USA zur Debatte standen, wurden längst aufgestockt - im Verhältnis zu den tatsächlich demnächst fälligen Summen ist das aber immer noch allenfalls Kleingeld.

Konicz zitiert István Mészáros:

Laut einer Analyse der Mitsubishi UFJ Asset Management Gruppe beträgt das Ausmaß der realen Ökonomie, in der Waren und Dienstleistungen gehandelt werden, 48,1 Billionen Dollar. Auf der anderen Seite, beträgt die Größe der globalen Finanzökonomie, die totale Menge an Aktien, Sicherheiten und Depositien, 151,8 Billionen US-Dollar. Die Finanzwirtschaft ist so auf mehr als die dreifache Größe der realen Ökonomie angeschwollen. ... Die Krise von 1929 ist relativ klein im Vergleich zu dem, was wir heute haben.

Das soll nicht mehr als ein Teaser sein - es lohnt sich wirklich, das oben verlinkte Essay zu lesen, auch wenn es noch länger ist als mein heutiger Eintrag.

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