Die Konstruktion der Wirklichkeit (4)
Wenn man das Verhalten von Tauben in der Skinner-Box betrachtet, bekommt man eine ganz gute Vorstellung davon, wie die Suche nach Kausalität geradezu zwanghaft dazu führt, bei zwei fast gleichzeitig stattfindenden Ereignissen das eine für die Ursache des anderen zu halten. Dabei läßt sich idR allenfalls darüber diskutieren, ob das erste die Ursache und das zweite die Wirkung sei, oder ob es sich umgekehrt verhält. Die Idee hingegen, daß das eine mit dem anderen gar nichts zu tun hat und man es womöglich nur mit einer zufälligen Koinzidenz zu tun hat, liegt denkbar fern, mehr noch: ist unvorstellbar.
Die Suche nach Kausalität ist biologischen Systemen so tief eingepflanzt, daß sie völlig automatisch abläuft. Wenn man auf Anhieb keinen Zusammenhang finden kann, stutzt man und wird selten ruhen, bevor man nicht doch eine Ursache konstruiert hat, so absurd die auch sein mag. Wenn man einmal eine Erfahrung auf eine Ursache zurückgeführt hat, wird es sehr schwierig, diese Erklärung zu revidieren, und zwar umso mehr, je öfter sie funktioniert. Schon nach wenigen Bestätigungen passiert es dann regelmäßig, daß man eine Erwartung hegt, die selbst dann in Erfüllung geht, wenn der vermutete Zusammenhang völlig unsinnig ist.
Man kann hierfür endlos Beispiele finden. Sobald man die Erfahrung gemacht hat, daß homöopathische Mittel bei einem selbst oder einem Bekannten wirken, wird man fast unvermeidlich zu einem Verfechter der sog. Alternativmedizin. Da kann man dann noch so oft darauf hinweisen, daß alle systematischen Studien den Nachweis liefern, daß homöopathische Mittel exakt ebenso wirksam sind wie ein Placebo; man kann betonen, daß ein Placebo eben keinesfalls unwirksam ist, sondern einen meßbaren Effekt verursacht – in solch einer Debatte ist jeder „Mainstream“-Mediziner auf verlorenem Posten, so gut er seine Argumente auch vorzubringen vermag.[1]
Wenn man sich vom Konzept energetischen Wassers überzeugt hat, wirkt es; wenn man an UFOs glaubt, wird man welche sehen; wenn man zu wissen glaubt, daß guter Wein teuer ist, schmeckt teurer Wein besser; wenn man weiß, daß überproportioniert dicke Kabel digitales Audio besonders gut übertragen, klingt die Musik besonders gut; usw. usf.
Man kann versuchen, dies alles als Einbildung beiseite zu wischen, und sich darüber lustig machen. Genau so funktioniert jedoch unsere Wahrnehmung, und zwar auch die all jener, die der Meinung sind, daß diese Zusammenhänge bei ihnen nicht wirken, weil sie sie durchschauen. Gerade wissenschaftlich geschulte Beobachter sind jedoch förmlich darauf fixiert, noch im letzten Winkel der Welt eine Beobachtung auf ihre Ursache zurückzuführen. Das betreiben sie zwar deutlich systematischer und weniger von starren, dogmatischen Vorurteilen gesteuert als Menschen, die vom Glauben geprägt der Meinung sind, auf ein nachvollziehbares Experiment verzichten zu können. Ein Vorurteil werden aber auch sie nicht los: den Glauben daran, daß die Welt letztlich auf Kausalität gegründet sei.
- [1] Ein Blick in die Diskussionen in die Science-Blogs ist hier lohnend, sobald es dort um Homöopathie oder andere „alternative“ Behandlungsmethoden geht.