21.7.2008

Gurrelieder (2)

Das "Lied der Waldtaube" führt ein von den Gurreliedern getrenntes eigenständiges Leben, weil es von ihm eine Fassung für Kammerorchester gibt, die Pierre Boulez seit vielen Jahren in seinem Repertoire hat. Mir gefällt diese Version fast besser als die Fassung für großes Orchester, weil sie viel klarer durchhörbar ist und die Struktur des Werks fast analytisch offenlegt. Hinzu kommt, zumindest in der vorliegenden Aufnahme, daß die Rhythmik in ihrem Schwanken zwischen starkt zerdehnten, fast zum Erliegenden kommenden Passagen und einem klar akzentuierten Marsch sehr sauber umgesetzt wird, so daß die Kontraste offensichtlich werden.

Solche Bearbeitungen von großen Besetzungen für den "Hausgebrauch" haben eine längere Tradition in der gesamten Romantik. Man denke nur an die Transkriptionen berühmter Sinfonien für Klavier zu zwei oder zu vier Händen, die dabei helfen sollten, diese über den Umweg über die bürgerlichen und adeligen Salons zu verbreiten und zu popularisieren. Gerade im Wien der Jahrhundertwende gab es aber auch zahlreiche Bearbeitungen groß angelegter Werke für kleine Besetzungen, die in privaten Musikvereinen zur Aufführung kamen. Das mag daran liegen, daß etwa die Bearbeitung einer Mahler-Sinfonie für Klavier selbst für einen engagierten Dilettanten technisch kaum zu bewältigen ist, und zudem unter Verzicht auf jede orchestrale Farbe eher ernüchternd wirkt denn als Quelle der Inspiration. Schönbergs Bearbeitung von Mahlers "Lied von der Erde" hingegen vermittelt ein präzises Bild auch der klanglichen Struktur des Werks, obwohl sie "nur" 16 Musiker erfordert.

Das ist schon ein spannender Aspekt: als die Musik derart überhöht wurde, daß ihre gigantischen Orchester nur noch in die größten Säle paßten und einem Hunderte, ja Tausende zählenden Publikum präsentiert wurde, war sie gleichzeitig derart komplex geworden, daß sie immer weniger Zuhörer anzog, und ihre Hybris nur noch verbreiten konnte, indem sie sich in die Kammer zurückzog.

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