Musikproduktion am Computer (4)
Die zentrale Software, die man bedienen muß, wenn man am Computer Musik machen will, ist der Sequencer (ich bleibe bei dem Namen, auch wenn die versammelte Macht des Marketings es durchgesetzt hat, daß man mittlerweile von einer „Digitalen Audio Workstation”, oder DAW, redet). Der Begriff hat seine Wurzeln noch in der Hardware der 70er Jahre, als erstmals analoge Sequencer und (die mit ihnen eng verwandten) Drummachines die Bühne betraten - Geräte, mit denen man Abfolgen von (wenigen) Tönen festlegen konnte, die sich hinterher zu einer Folge von solchen Sequenzen (aka Pattern) kombinieren ließen.
Die ersten Software-Sequencer sind diesem Konzept gefolgt (wie übrigens generell in der Musikindustrie Konzepte zuerst in Hardware zur Verfügung standen, um erst später als Software auf den immer leistungsfähigeren Home-PCs zu laufen): man hat dort mit einer vorher festzulegenden Zahl von Takten („Pattern”) zu tun, die sich hinterher zu einem „Song” zusammenfügen lassen [1].
Ende der Achtziger erschien mit „Cubase” ein Software-Sequencer, der rasch zum Standard für alle anderen Programme auf diesem Gebiet wurde: die Benutzeroberfläche zeigt ein virtuelles Tonbandgerät, wobei auf der vertikalen Achse dessen Spuren, und auf der horizontalen das Tonband in seinem zeitlichen Verlauf dargestellt wird. Man kann sich das auch so vorstellen, daß man ganz links eine Liste der unterschiedlichen Instrumente sieht, und daneben die von diesen gespielten Noten in ihrem zeitlichen Verlauf.
Die einzelnen Spuren des virtuellen Tonbands sind weit variabler editierbar als jene auf der Hardware: man kann nicht nur das komplette Band in Stücke zerscheiden, die man hinterher in einer neuen Reihenfolge wieder zusammenkleben kann, sondern man kann auch innerhalb der einzelnen Spuren manipulieren: man arbeitet mit Parts, mit Schnipseln beliebiger Größe, die man beliebig positionieren, kopieren, schneiden, und löschen kann.

(Screenshot: Cubase/Atari aus den frühen Neunzigern.)
- [1] Ein ganz heißer Tip, wenn man die frühen Sequencer in Aktion hören will - und nicht nur dafür: das ist zeitlos gültige Musik - sind die Soloalben von John Surman - z.B. dieses Werk.
Die einzige Gelegenheit, bei der ich aktiv sowas wie Musik produziert habe, war zu Amiga-Zeiten mit dem ProTracker, der ja quasi auch ein Sequencer war/ist. Aus heutiger Sicht ein absoluter Usability-Alptraum. Meine "Werke" mit dem Ding sind gottlob schon im großen Bitrauschen der Zeiten untergegangen. Aber es gibt einige Stücke von anderen aus dieser Zeit, die sich durchaus auch heute noch hören lassen. Für dich ob der eingeschränken klanglichen und künstlerischen Qualität vermutlich eher nicht :)
Es gibt durchaus Musiker, die mit den elektronischen Mitteln jener Zeit erstaunliche Sachen angestellt haben - oben erwähnter John Surman etwa, aber auch andere ("Jazz"-)Musiker aus der ECM-Ecke.
Die Klangqualität der in den Computer eingebauten Soundchips war natürlich furchtbar - was man von den Synthis aber überhaupt nicht sagen kann. Gerade die alten analogen Kisten klingen weitaus besser (und bieten wesentlich mehr kreativen Spielraum!) als mancher aktuelle Synthi, der lediglich irgendwelche Samples abfeuert.
Vor kurzem ist mir wieder das Musikvideo zu "Star Guitar" von den Chemical Brothers über den Weg gelaufen. Eine sehr sehr interessante Anspielung auf/Interpretation des Themas Sequencer und der Mehrdimensionalität von Musik. Auch wenn man die Chemical Brothers vielleicht nicht mag, sollte man es sich ansehen. Ich bin mir sicher, dass gerade du den "Gag" an dem Video relativ schnell erkennen wirst. Es lohnt sich übrigens, eine möglichst hohe Qualität des Videos anzusehen.
Das ist tatsächlich ziemlich genial. Ich bin allerdings erst gegen Schluß auf den Kniff dahinter gekommen, und mußte mir das Video dann ein zweites Mal ansehen...