Nur der Markt zählt

Bohlen sagt (Zitat laut Volker Hagedorn, ZEIT 12/2004): "Bach und Beethoven würden heute dieselbe Musik machen wie ein Bohlen. Umgekehrt gilt das für mich natürlich auch." Über so einen Spruch mag man ja nicht einmal mehr amüsiert schmunzeln - denn dann würde man es für möglich halten, daß ein Konsortium aus Verkaufsexperten, Marketingstrategen und Computerbenutzern, hätte es dieses denn alles vor knapp dreihundert Jahren schon gegeben, in der Lage gewesen wäre, etwa die H-Moll-Messe hervorzubringen. Das wäre lustig. Ist es aber nicht.

Hinter der offenkundigen Lächerlichkeit solcher Anmaßung versteckt sich eine Hybris auf einer ganz anderen Ebene: jener Überhebung über simpelste Formen musikalischer Bildung, die die heutigen Produktionsmittel von Musik (Computer) möglich machen. Die Trennung zwischen U- und E-Musik ist u.a. deshalb so drastisch, weil beide Seiten so gar nichts gemeinsam haben: weil sie nicht einmal mehr dasselbe Handwerkszeug benutzen. In der E-Musik schreibt man immer noch für Geigen, Sänger, etc. - wobei die Beherrschung eines Orchesters in der Tradition der Spätromantik den Gipfel der Kunstfertigkeit beschreibt. In der heutigen Popmusik hingegen ist ein Musiker, der Schlagzeug spielt, ein Exot: jeder Anfänger in der Popmusik lernt als erstes, einen Drumcomputer zu programmieren. Vom Gebrauch der Notenschrift auf der einen und dem fast vollständig durchgesetzten musikalischen Analphabetentum auf der anderen Seite muß man gar nicht erst reden.

Das Eintrittsgeld, das man in Form von Ausbildung und Investitionen in Instrumente und Studioelektronik einst entrichten mußte, bevor man die Arena der musikalischen Produktion betreten konnte, ist heutzutage außerordentlich gering: der heimische PC - und die dazugehörige, nahezu kostenlos verfügbare Software - ersetzt ein Studio, das noch vor zwanzig Jahren mehrere hunderttausend Mark gekostet hätte. Man kann dies als Fortschritt feiern, als Demokratisierung der Musik. Damit behauptet man aber gleichzeitig, die Produktion von Musik sei dem Atmen vergleichbar: ein Akt der Unmittelbarkeit, bislang erstickt durch Äußerlichkeiten wie das Privileg einer behüteten Kindheit, in der man lernte, Noten zu lesen und ein Instrument zu spielen, weil man Eltern hatte, die die Musikschule aus der Portokasse bezahlen konnten. Tatsächlich aber erleben wir einen Prozeß der Nivellierung im Bereich des Pop, wo jeder alles kann. Gleichzeitig kippt ein prinzipielles Einverständnis über die Beherrschung von musikalischen Standards, das bislang unter Musikern aller Stilrichtungen unumstritten war. Wir erleben eine Trennung von Musik und Pop. Letzterer bestand schon immer zu einem guten Teil aus "Geschäft" - neu ist, daß die "Musik" in ihm verschwindet und durch zwei neue Bereiche ersetzt wird: "Technik" und "Mode".

Ich will hier deutlich machen, daß es beim allmählichen Verblassen der Kunstmusik eben nicht um eine Rebellion von Bohlen und co. geht (als wenn solche Hohlköpfe jemals rebellieren könnten!), sondern um einen allmählich seinem Höhepunkt zusteuernden Umbruch. Dessen Ursache, im Zusammenbruch des tonalen Systems, liegt lange zurück. Die Verbreitung von Musiksoftware in alle Winkel der Gesellschaft haben dieser Entwicklung sozusagen einen letzten Fußtritt verpaßt. Um oben erwähntes Beispiel zu variieren: der Tod der Kunst, das Schlagzeug zu spielen, ist der Spiegel einer Musik, die - in Techno und HipHop - nur möglich wurde, weil jene Kunst starb, als sie von Dilletanten ausübbar wurde.

Ganz so daneben liegt man nämlich nicht - nicht immer zumindest - , wenn man, reichlich unpopulär mittlerweile, behauptet, das Sein bestimme das Bewußtsein.