27.1.2014

Die edelste Form von Menschlichkeit besteht im Verzicht darauf, recht zu haben

Seit April leben afrikanische Flüchtlinge obdachlos in Hamburg. Sie sind zumeist aus Westafrika stammende Flüchtlinge, die vor dem Krieg in Libyen Arbeit und eine soziale Absicherung hatten. Aufgrund von Massakern waren sie gezwungen das Land zu verlassen.

Bevor sie nach Hamburg kamen, verbrachten sie eineinhalb Jahre unter widrigen Umständen auf Lampedusa, bevor Italien sie – mit Bahntickets und Bargeldbeträgen bis zu 500 Euro ausgestattet – nach Nordeuropa verwies. Dies sei in Absprache mit Deutschland und im Einklang mit dem europäischen Recht geschehen, betont das italienische Innenministerium.

Seit 2010 entschieden 200 bundesdeutsche Verwaltungsgerichte, dass eine Rückführung von Flüchtlingen nach Italien rechtswidrig ist. „Die Lebensbedingungen für Schutzbedürftige lassen befürchten, dass die Menschen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren“, heißt es in Urteilen.

Der Hamburger Senat verweigert den ca. 300 Flüchtlingen immer noch jede ernstgemeinte Unterstützung. Bürgermeister Olaf Scholz behauptet, dass rechtlich keine andere Möglichkeit als die Abschiebung bestünde.[1]

Lampedusa in St. Pauli


Der General sitzt schweigend und ab und zu lächelnd auf dem Sofa und sieht sich das Geschehen in dem kleinen Raum an. Nichts passiert.

Irgendwann beginnen wir zu plaudern. Über Afghanistan. Über früher. Dann, fast am Ende des Treffens, erzählt der alte General die Geschichte der beiden deutschen Krankenschwestern. In den 1970er Jahren gab es in seiner Heimatstadt Kunduz ein Krankenhaus, in dem zwei deutsche Krankenschwestern arbeiteten, die als Touristinnen gekommen waren. Als sie sich schon drei Jahre im Land befanden, wurden sie wegen ihres illegalen Aufenthaltsstatus angezeigt. In ihrer Verzweiflung wandten sie sich an den Neffen des alten Generals. Dieser hatte persönliche Kontakte zum Gouverneur der Provinz und trug den Fall vor. Der Gouverneur bat die beiden Frauen zu sich und ließ sich berichten, warum sie in Afghanistan leben und arbeiten wollten. Die Frauen erläuterten, dass sie sich auf ihre Reise durch den Orient in das Land verliebt und beschlossen hätten, einfach dort zu bleiben. Nachdem er sich diese Geschichte angehört hatte, zerriss er vor den Augen der beiden Frauen die Anzeige und sagte: »Sie können so lange in diesem Land bleiben und arbeiten, wie Sie wollen.«

[…] Die Geschichte des alten Generals zeigt, wie enttäuscht Menschen sein müssen, die in einem Land leben wollen, das ihnen nicht gestattet zu bleiben. […] Statt Menschlichkeit kommt Recht zur Anwendung. Die edelste Form von Menschlichkeit – dies macht die Geschichte des alten Generals deutlich – besteht aber im Verzicht darauf, recht zu haben.

(Stefan Selke, Schamland)

  1. [1] „Seit mehreren Wochen hat ein breit aufgestelltes Bündnis, das von antirassistischen, linken, kirchlichen und weiteren Gruppen sowie engagierten Einzelpersonen getragen wird, die Kriegsflüchtlinge beim Überleben unterstützt und humanitäre Hilfe geleistet. Diese Hilfe wird auch weiterhin fortgesetzt.
    Politischer Anlaufpunkt ist die Dauermahnwache am Hauptbahnhof/Steindamm.”
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