15.1.2014

Die zehn geheimsten Sätze aus Merkels Telefonaten

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Die Snowden-Enthüllungen haben die vierte Kränkung der Menschheit offenbart, die digitale Kränkung der Menschheit, der größte Irrtum des Netzzeitalters. Die positiven Versprechungen des Internets, Demokratisierung, soziale Vernetzung, ein digitaler Freigarten der Bildung und Kultur – sie waren ohnehin immer nur Möglichkeiten. Mit dem Netz hatte sich der bisher vielfältigste, zugänglichste Möglichkeitsraum aufgetan, stets schwang die Utopie einer besseren Welt mit. Daran hat sich wenig geändert – technisch. Die fast vollständige Durchdringung der digitalen Sphäre durch Spähapparate aber hat den famosen Jahrtausendmarkt der Möglichkeiten in ein Spielfeld von Gnaden der NSA verwandelt.[…]

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[…] Das wahre Ausmaß der Kränkung der Politik aber ist seit Dezember erkennbar. Da wurde bekannt, dass Merkel zur Überwachung ihres Handys persönlich mit Obama telefoniert und dabei die NSA mit der Stasi verglichen hatte.

Eine ostdeutsche, sich hyperrational gebende Machtkanzlerin, Vorsitzende einer traditionell transatlantisch orientierten, konservativen Partei schleudert einem US-Präsidenten erbost einen Stasi-Vergleich ins Ohr. Da ist keine Steigerung mehr möglich. Das allein ist Ausweis einer kaum zu überschätzenden Kränkung der Politik. In Demokratien bedeutet Politik, Macht auszuüben durch Verhandlung. Diese Macht hat sich rückwirkend als beschädigt herausgestellt, die Verhandlungen als Farce, weil die Gegenseite morning briefings hatte oder hätte haben können, „Die zehn geheimsten Sätze aus Merkels Telefonaten“.

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(Sasha Lobo in der FAZ)

Sasha Lobos Text ist (und ich sage das ohne Ironie) bemerkenswert: ein (ich habe dafür gerade kein besseres Wort:) Meinungsführer der „Digital Natives“ gibt zu, daß er mit seiner Hoffnung auf eine bessere Welt via Technologie komplett daneben lag.

Dem Wandel seiner Einschätzung der Rolle des 'net von einer Hoffnung auf Teilhabe Aller in eine Dystopie einer Gesellschaft, in der das 'net nur noch dazu da ist, den Geheimdiensten Daten zu liefern, kann ich allerdings nur bedingt folgen.

Technologischer Wandel folgt einer Dialektik, die man (nicht nur in Hinblick auf das 'net) vielleicht nur dann sieht, wenn man früh genug dabei war, um auch das „Vorher“ noch zu kennen (ich habe Code geschrieben einige Jahre bevor der „Computer” mit dem „Internet” gleichgesetzt wurde).


Trotzdem: ich kann mir eine Anmerkung nicht verkneifen. Lobo schreibt:

Kaum jemand ahnt, wie weit die Digitalisierung und Durchprogrammierung der Welt vorangeschritten ist. In einem modernen Auto sind rund hundert Millionen Zeilen Programmiercode verbaut. Zum Vergleich: das Smartphone-Betriebssystem Android kommt auf zwölf Millionen Zeilen. Der genetische Code einer handelsüblichen Maus entspräche hundertzwanzig Millionen Programmzeilen.

Abgesehen davon, daß ich gerne Quellen für diese Liste von „Zeilen Programmcode“ hätte: handelt es sich um Zeilen in Assembler? in C? oder doch Java (nicht zu verwechseln mit Java-Script)? womöglich in template-basiertem C++ (wo der Compiler ein Template aus wenigen Zeilen Code in hunderte oder tausende „Zeilen” von Befehlen für die Maschine übersetzt)? etc.

Ich habe keinen Zweifel, daß Lobo seine Blogsoftware vortrefflich bedienen kann. Ob das ausreicht, um sich massenmedial über die Bedeutung der Programmierung von Computern zu verbreiten, wäre durchaus eine Frage wert.

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