15.4.2013

Sozial ist etwas, auf das ein Anspruch besteht

Meine sehr prinzipielle Abneigung, mich an „wohltätigen“ Spenden zu beteiligen, läßt sich gelegentlich nur schwer vermitteln. Wenn mich Aktivisten vom ASB um eine Spende bitten, versuche ich, mein Nein mit der Antwort zu begründen: „Ich zahle einen ganzen Batzen Steuern, und wähle eine Partei, die vorhat, mit diesem Geld vernünftig umzugehen“. Das ist ein Argument, das von Überheblichkeit nur so strotzt (obwohl es inhaltlich mE. völlig richtig ist), und mit dem ich mir bloß verwunderte Blicke einhandle.

Neulich standen vor einem Supermarkt in Hamburg-Winterhude (in dem ich regelmäßig einkaufe, und der generell ein eher gutbetuchtes Publikum adressiert) zwei Mädchen im Teenager-Alter, die Werbung machten, beim Einkauf einen Artikel mehr zu kaufen, als man selber braucht, um diesen dann den Tafeln zu spenden. Ich habe mich um sie herumgedrückt – ich hatte keine Ahnung, wie ich in kurzen Worten erkläre, warum ich es für einen prinzipiellen Fehler halte, bei solch einer Aktion mitzumachen.

Scheinbar schlägt man mit der Unterstützung der Tafeln gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: man verhindert die Entsorgung von noch eßbaren Lebensmitteln in den Müllcontainer, und lindert den offensichtlichen Hunger von Mitbürgern in der eigenen Nachbarschaft.

Tatsächlich jedoch beteiligt man sich dabei an der Fortschreibung bestehender gesellschaftlicher Zustände, in denen die Produktion (und anschließende Vernichtung) von Überschüssen Hand in Hand geht mit der Produktion von existentieller Not. Die Tafeln verschieben das Problem in Richtung privater Philanthropie, wodurch die öffentliche Hand vom Druck entlastet wird, sich eines Problems anzunehmen, das letztlich nur sie lösen könnte[1].

Stefan Selke hat bei Telepolis sein Buch über seine „Reise eines öffentlichen Soziologen durch das Land der Tafeln und Suppenküchen“ vorgestellt. Der Text enthält einige methodologische Überlegungen über die Wissenschaft der Soziologie, die im Zusammenhang vielleicht weniger interessant sind; er bietet aber auch reichlich Argumente für meinen Standpunkt.

Dies sind mE. die zentralen Sätze:

Tafeln sind schambesetzte Stressräume, in denen um kleinste Gaben konkurriert wird. Sozial ist das alles nicht. Sozial ist etwas, auf das ein Anspruch besteht. Almosen sind, auch bei aller Freundlichkeit und Nettigkeit, gerade nicht sozial. Letztlich sind Tafeln eine wirtschaftliche und politische, aber keine soziale Lösung.

Tafeln sind nichts anderes als gesellschaftlich arrangierte Bedürftigkeit.

Sie sind Verharmlosungsagenturen, die nicht für Gerechtigkeit sorgen, sondern das Bedürfnis nach Verdrängung bedienen.

(Umformatierung und Hervorhebung von mir).

Das Zitat oben basiert nicht auf philosophisch-theoretischen Überlegungen, sondern stammt von jemand, der sich die realen Verhältnisse vor Ort angesehen hat.

  1. [1] Ich bin gerade so wütend, daß ich zumindest eine Anmerkung darüber loswerden muß, was man tun könnte - in dem einzigen Vorgehen, das in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft funktionieren kann: Geht wählen. Laßt euch wählen; stellt euch der Wahl in all den unterschiedlichen Gremien, die heute noch einigermaßen funktionieren. Macht euch wählbar; lernt die Rhetorik der Stammtische wie auch jene der selbstbezüglichen Kaste der Parteipolitiker. Vertretet eure eigenen Interessen, wie auch die Lobby der Industrie das tut; hört auf zu träumen, und vertretet eure Interessen pragmatisch, mit einer Rhetorik, die die jeweils Mächtigen verstehen. Werdet pragmatisch in eurem Reden. Stellt euch der Politik.

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