11.4.2012

Handelbare Waren sind immer Gegenstände, die man tauschen kann

Ich hatte zum Rant von Anatol Stefanowitsch einen Kommentar geschrieben; ich zitiere mich mal selbst:

Ein Aspekt kommt mir in der Debatte zu kurz (und ich erwähne ihn hier, um den Standpunkt von A.S. nachdrücklich zu unterstützen):

Handelbare Waren sind immer Gegenstände, die man tauschen kann. Dies setzt voraus, daß sie sich von einem Ort an einen anderen versetzen lassen. Wissen (Ideen, eine Komposition - you name it) kann man zwar auch bewegen – es bleibt aber immer gleichzeitig bei seinem ursprünglichen Besitzer: es wird transferiert, nicht aber versetzt. Dadurch ist es seinem Wesen nach nicht tauschbar: wenn ich jemandem etwas gebe, damit ich dafür etwas anderes erhalte, setzt dies voraus, daß der ursprüngliche Besitzer hinterher im Besitz des Tauschgegenstandes ist, und seinen eigenen dafür hergegeben hat. Wenn ich jemandem einen Gegenstand gebe, damit er mir sein Wissen mitteilt, hat der andere hinterher meinen Tauschgegenstand sowie das ursprüngliche Wissen in seinem Besitz – für mich wäre dies ein denkbar schlechtes Geschäft.

(Das ist Copy&Paste aus einem ähnlichen Zusammenhang).

Darauf gab es eine gute Antwort:

"Handelbare Waren sind immer Gegenstände, die man tauschen kann. Dies setzt voraus, daß sie sich von einem Ort an einen anderen versetzen lassen."

Um es ganz kurz zu sagen: nein. Handelbar ist das, was der Gesetzgeber zuläßt. Also zum Beispiel auch Grundstücke, Immobilien oder Rechte.

Es gibt hier zwei Ebenen: es gibt „das Gesetz”; und es gibt eine Gesellschaft, die durch jene Gesetze geregelt wird, die sie sich selber gibt.

Auf der ersten Ebene finden sich Positionen, die mit dem „Naturrecht“ argumentieren – also zB. mit den unveräußerlichen Menschenrechten, die ewig und nicht verhandelbar seien (wozu ich auch noch einige Fragen hätte – aber geschenkt, hier im Zusammenhang). Damit hat man es in der Debatte um das Urheberrecht sicherlich nicht zu tun – es gibt kein Menschenrecht auf Geldwerten Vorteil bei der Distribution von Ideen, und ich kenne keine Philosophie, die für solch einen (schon auf den ersten Blick idiotischen) Standpunkt Argumente liefert.

Dann gibt es das „geschriebene“ Recht, das sich, zusammen mit der Gesellschaft, die es schreibt, ständig verändert. Dazu gehört u.a. das Urheberrecht, mit dem man seit ca 500 Jahren (seit der Erfindung des Buchdrucks) beschäftigt ist. Hier wird versucht, den realen Verhältnissen in der Gesellschaft ein Regelwerk vorzulegen (oder aufzuzwingen), das man aber, je nach Lage der Dinge, immer wieder neu anpaßt. Es geht hier um politische Entscheidungen, die – zumal in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft – ständig neu verhandelt werden müssen.

Dann aber – und das ist hier der springende Punkt – haben wir es heute mit einer Technologie zu tun, die den Buchdruck gewissermaßen in sich eingeschrieben hat. Wo sich Kant und Goethe noch darüber beschwerten, daß man mit dem Nachdruck ihrer Texte Profit machte, an dem sie nicht partizipierten, sind wir konfrontiert mit einer Technik, die auf Kopie basiert. Bevor man eine E-Mail lesen kann, wird sie vom Mail-Server des Providers in den Speicher des Home-PC kopiert; wenn man eine Internet-Site aufruft, wird sie zunächst auf den lokalen Rechner kopiert. Mehr noch: wenn man ein Programm auf seinem Computer (Handy; iPad; etc) laufen läßt, wird dessen Code zunächst von der Festplatte in den Arbeitsspeicher kopiert, danach dann – mit jeder Zeile Code, die der Prozessor ausführt – in die Register des Prozessors. – Alles „Digitale“ basiert, auf einer sehr prinzipiellen Ebene, auf Kopierbarkeit.

Texte (Musik, Fotos, Videos – Ideen) stehen heutzutage in digitaler Form im Internet. Die Frage lautet: wie müssen die Gesetze, die einen legalen Zugriff auf sie erlauben, so ausgestaltet sein, daß sie noch in einer gewissen Übereinstimmung mit den realen Verhältnissen stehen?

Und hier scheiden sich nicht die Meinungen, sondern die Interessen.

Die Arbeit, die Autoren an ihren Texten aufwenden, ist ja sehr real „Arbeit“ – sie sitzen Stunde um Stunde an einem Text, den ein Leser hinterher in wenigen Minuten verschlingt. Es ist unumstritten, daß sie dafür genauso bezahlt werden wollen, wie zB. ein Arbeiter in der Müllentsorgung.

Die Frage wäre: wer schreibt endlich jene Gesetze, die den richtig unangenehmen Arbeiten einen angemessen Lohn zugestehen – die dafür sorgen, daß man zB. einen Müllarbeiter fair für seine Drecksarbeit entlohnt?

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