2.4.2012

Carnivàle

Der „Opener” zu Carnivàle (produziert 2003-2005 für HBO) umreißt schon für einen ersten Eindruck recht schön, worum es in dieser TV-Show geht. Sie spielt in der Ära der Großen Depression (1934, um genau zu sein), und deutet diese als „magische“ Zeit. Alles ist dort denkbar, und die Annahme, daß zu jener Zeit der Teufel leibhaftig in Amerika umging, ist sogar äußerst plausibel. Dabei bildet die Ebene von Magie – ein mystischer Kampf zwischen Gut und Böse – letztlich nur einen Vorwand, um einen historischen Rahmen so aufzuspannen, daß sich ein heutiges Publikum noch dafür interessiert. Im Vordergrund steht die Erzählung eines jugendlichen Heilers, der – unwillig zunächst; das ist eine klassische „coming of age“-Story – gegen einen falschen Propheten zu Felde zieht. Der Hintergrund ist aber mE. viel interessanter: hier geht es um eine Zirkusgemeinschaft aus Outsidern (darunter Menschen, die man als Mißgestalten wahrzunehmen versucht ist), die von Ort zu Ort zieht, um unter schwierigsten Bedingungen ein Überleben zu versuchen.

Mich hat zuerst die Optik der Show eingenommen. Genauso kann ich mir das Leben in den 30ern vorstellen: in matten Farben, abgerissener und verstaubter Kleidung, kärglichen Umständen im alltäglichen Leben, wo das Radio die einzige Quelle für Informationen jenseits des engsten Umfelds ist.

Dann ist aber auch die Art und Weise, wie die Story entwickelt wird, für eine TV-Show letztlich einmalig. Mit solch großer Ruhe, mit solcher Liebe zur Beschreibung noch der letzten Kleinigkeit, mit solcher Kargheit in den Dialogen wird sonst nur in den richtig dicken Wälzern der Literatur erzählt. Das Kunststück ist hier, wie das zu keiner Sekunde langweilig wird.

Es gäbe noch eine Menge mehr anzumerken: die durchaus unüblichen Perspektiven der Kamera; die in jedes Detail verliebte Ausstattung; der hervorragende Sourround-Mix; der auf den Punkt plausibel besetzte Cast; etc. Eines muß ich dann doch noch herausheben, die Musik. Jeff Beal arbeitet hier mit einer Technik von Leitmotiven, die ich, soweit ich mich erinnere, nirgends sonst gehört habe. Das geht soweit, daß nicht bloß einzelne Fanfaren oder Themen den Charakteren zugeordnet sind, sondern die unterschiedlichen Szenerien und Orte einen je eigenen Sound haben (Banjo für den Zirkus; Orgel-ähnliches für die Kirche des Predigers; usf.).

Die Show war ursprünglich auf sechs Staffeln ausgelegt, wurde aber nach nur zwei Seasons beerdigt – laut Wikipedia wollte HBO die vier Millionen Dollar pro Folge(!) nicht länger investieren, und die Macher der Serie spielten eine Partie Poker, die sie schließlich verloren. Aber auch den „Rumpf“ kann man sich sehr gut ansehen – die zweite Staffel endet zwar mit einem gewaltigen Cliffhanger, bringt aber zuvor wichtige Handlungsstränge zu einem plausiblen Ende.

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