23.3.2012

Notenschrift (2)

Der „Bau“ eines Compilers oder die Entwicklung eines Interpreters, der einen von Menschen lesbaren Text in Maschinensprache übersetzt, folgt deterministischen Regeln. Ein Compiler liefert ein Resultat, das dann einen Computer steuert, oder, wenn er fehlerhaft programmiert ist, dies eben nicht tut (indem die von ihm übersetzten Programme abstürzen).

Ein Programm, das mit Musik zu tun hat, geht mit einem „Input“ um, der eben nicht deterministisch analysierbar ist. Ich bin seit langem damit beschäftigt, aus „live“ eingespieltem Material einen Notentext zu generieren, und bin immer wieder über Mehrdeutigkeiten gestolpert, wo man ein und den selben Input auf unterschiedliche, trotzdem gleichwertig „sinnvolle“ Weise interpretieren kann.

Es läßt sich wohl leicht nachvollziehen, daß die graphische Anordnung der Noten auf dem Notenpapier hochgradig eine Sache des Geschmacks ist. Man wird etwa einer halbe Note nicht den doppelten Raum einer viertel Note geben, obwohl das für die Darstellung der Rhythmik objektiv „richtig“ wäre – das sieht aber schon auf den ersten Blick ebenso falsch aus, wie eine nicht-proportionale Schrift selbst für einen ungeübten Leser.

Dabei ist in der Notenschrift die Frage, wie dort eine ordentlich gestaltete Proportionalschrift aussehen müßte, äußerst umstritten. Man hat es hier mit einer Komplexität (Stichworte: Vorzeichen“stapel“; Akkorde mit Sekunden, die eine grafische Verschiebung der Noten erzwingen; punktierte Noten, wo der Punkt extra Platz beansprucht; die „Fähnchen“ von Noten ab Achtel, die je nach Halsrichtung extra Platz beanspruchen; Synchronizität zwischen den Stimmen einer Partitur; etc) zu tun, die eine Theorie über die „richtige“ Darstellung letztlich unmöglich macht. Man ist hier auf Erfahrung, Geschichte, Geschmack verwiesen.

Auch die Darstellung von Rhythmik in Notenschrift ist nicht eindeutig, und folgt keinen deterministischen Regeln. „Eine Note“ wird häufig in in der Gestalt von zwei (oder noch mehr) grafischen Noten dargestellt, die mit einem Haltebogen miteinander verbunden sind (um klar zu stellen, daß man diese Note nur einmal „anschlägt“, aber länger „ausklingen“ läßt). Die Regeln, nach denen man z.B. eine halbe Note einmal als nur ein Symbol, woanders aber als zwei oder mehr Symbole „zu malen“ hat, sind für die Intuition von jemanden, der Noten lesen kann, unmittelbar zweifelsfrei klar und eindeutig. Der Versuch, sie von einem „Interpreter“ von Musik-Input auf dem Computer analytisch zerlegen zu lassen, ist nur näherungsweise erfolgreich – es gibt es hier kein „richtig“ oder „falsch“, sondern wieder nur Erfahrung, Geschichte, und Geschmack.

Nichts davon läßt sich in der Wissenschaft oder Praxis der Computer finden – es gibt hier keine Libraries, API‘s, oder auch nur Design Patterns, die eine Lösung der Probleme zumindest vorbereiten. Wo beim Design von Schrift-Fonts zumindest ein ehrwürdiger Berufsstand (der der Drucker) Pate steht, wenn es darum geht, das Thema dem Computer „beizubringen“, steht man im Bereich von Musik in letztlich unerforschtem Terrain.

(Ich hatte mit dem Thema, vor längerer Zeit, schon einmal angefangen.)

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