13.7.2011

Der Rotz, der unser Leben lebenswert macht

Die Vorgänge um die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Jörg Kachelmann und Dominique Strauss-Kahn haben eine Debatte angefeuert, die seit Jahrzehnten brodelt, und in der sich Männer gegen Frauen (und vice versa) immer wieder und einmal mehr gegeneinander in Stellung bringen. Exemplarisch dafür steht der sprachlich und inhaltlich idiotische Eintrag im Blog von Nadine Lantzsch, den Udo Vetter zum Anlaß nimmt, ebenso unreflektiert die Gegenposition zu beziehen. Dabei sind das noch kluge Texte, die man ernst nehmen sollte, und die erst in den Kommentaren in den betreffenden Blogs enthüllen, was für ein ideologisch aufgeladener Mist sich hinter ihnen verbirgt.

Andreas Zielke springt hier in die Bresche, und versucht, den Konflikt auf einer Metaebene einzuordnen:

[…]

Im Zentrum steht der prozessuale Wahrheitsbegriff. Vor dem Urteil lautet die Frage nicht: Was war wirklich der Fall? Sondern allein: Ist der Angeklagte der ihm vorgeworfenen Tat überführt oder nicht? Das Gericht hat keinen Forschungsauftrag herauszufinden, was tatsächlich passiert ist. Es muss nur entscheiden, ob die erreichbaren und zulässigen Beweise für einen Schuldspruch reichen. Falls nicht, ist freizusprechen ohne Wenn und Aber. Zweitklassige Freisprüche "mangels Beweis" gibt es folglich nicht mehr, weder hier noch in den USA.

Aus der Sicht des Opfers bedeutet das eine bittere Einschränkung seines Aufklärungs- und Genugtuungsanspruches. Ohnehin zeigt die Unschuldsvermutung gerade bei Sexualdelikten, wo eine von beiden Seiten lügt, ihre Kehrseite. Denn die Vermutung zugunsten des beschuldigten Mannes wirkt wie eine Unwahrhaftigkeitsvermutung zulasten der anschuldigenden Frau - eine schwer zu verkraftende Last, wenn sie tatsächlich Opfer des behaupteten Gewaltakts geworden war. Juristisch ist ein solcher Umkehrschluss nicht korrekt, de facto aber macht er dem Opfer böse zu schaffen.

[…]

Zielkes Text ist eine echte Werbung, mal doch wieder die „Süddeutsche“ zu lesen. Dennoch verfehlt auch er den grundlegenden Konflikt: auch er geht davon aus, unser Wertesystem sei ewig.

Mir fehlt die Geduld, meine fundamentale Kritik an diesem Konstrukt (einmal mehr in meinem Blog) zu begründen; für einen Einstieg taugt vielleicht mein Versuch über die Konstruktion von Identität.

(Kommentarfunktion z.Zt. deaktiviert.)