Themensammlung: Konstruktivismus und Gesellschaftstheorie (4)

(Themenzusammenhang)

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Die Grundprämisse des Radikalen Konstruktivismus lautet, daß Realität nur existiert, wenn es jemanden gibt, der sie beobachtet. Das Einzige, was man als gegeben annehmen kann, sei das Feuern der Neuronen im Gehirn. Alles andere, inklusive der Wahrnehmung der Sinne, sei ein Konstrukt, und alles, was uns als Objektivität entgegentritt, lediglich eine Projektion des subjektiven Bewußtseins. Erstaunlicherweise stammt diese Sichtweise von Vertretern der sog. „harten“ Naturwissenschaften, u.a. Kybernetiker und Physiker (Heinz von Förster), Mathematiker (Ernst v. Glaserfeld) und Biologen (Humberto Maturana). Damit ist dies ein erkenntnistheoretischer Ansatz, der die scheinbar unvereinbaren Welten von „harten“ Naturwissenschaften und „weichen“ Geisteswissenschaften unter einem gemeinsamen Dach zusammenzubringen verspricht.

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Der sog. „gesunden Menschenverstand“ steht vor diesem Konzept zunächst mit tiefstem Mißtrauen: wenn alles nur noch Konstrukt ist, wo bleibt dann die Wirklichkeit?

Dabei ist der Konstruktivismus lediglich eine weitere Stufe in der beständigen Demütigung des Menschen durch Theorien, die ihn immer weiter aus dem Zentrum der von ihm nur scheinbar beherrschten Welt drängen. Anfangs stand die Erde im Zentrum des Weltalls, und der Mensch war Ebenbild Gottes; bald darauf war die Sonne im Mittelpunkt eines Sternensystems am Rande der Milchstraße, und im 20.Jh befand man sich schließlich in einer unbedeutenden Galaxie unter Milliarden anderer. Auch das Selbstbewußtsein, das garantierte, daß der Mensch zu freiheitlichem, selbstbestimmten Handeln in der Lage war, rückte an den Rand: Freud zeigte, daß das „Ich“ keinesfalls „Herr im eigenen Haus“ ist, sondern von triebgesteuerten und gesellschaftlich vermittelten Instanzen geradezu in die Zange genommen wird.

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Konstruktivismus, Systemtheorie und linguistic turn vollziehen einen grundlegenden Bruch mit der Idee einer wie auch immer beschreibbaren „Objektivität“; damit auch der Idee einer wie auch immer erreichbaren „Wahrheit“; auch der letzte Versuch, hier noch etwas zu retten, Kants Wort vom „Ding an sich“, erweist sich als überflüssige Metaphysik.

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Der Konstruktivismus als Erkenntnistheorie ist für die Naturwissenschaften letztlich nur insofern interessant, als er ihren Gültigkeitsbereich – ein weiteres Mal – in die Schranken verweist. Für die Theorie der Gesellschaft stellen sich aber zwei grundlegende Fragen: wenn die Erkenntnisse nicht Spiegel der objektiven Welt sind: für wen sind sie? und aus welchem Grund, bzw genauer: aus welchem Interesse?

Luhmanns Theorie der sozialen Systeme stellt m.E. ein gutes Beispiel dar, wohin man kommt, wenn man einerseits zu wissen behauptet, daß jeder Beobachter der Gesellschaft nie neutral, sondern immer gleichzeitig ein Teil von ihr ist, andererseits aus einer professoralen Distanz die Dinge betrachtet: da entsteht eine vermeidliche Neutralität, die die Verhältnisse affirmativ fortschreibt, statt sie kritisch, d.h. in der Suche nach Alternativen, zu hinterfragen.