22.3.2011

Nachrichten vom Spielplatz der Emergenz

Ich hatte kürzlich versucht, die Spannung zu beschreiben, die zwischen den Begriffen von „Freiheit“ und „Moral“ besteht. Es ging im Kern um die Frage, was geschieht, wenn Menschen, sofern sie frei sind, Entscheidungen treffen – sie sind dann, stark verkürzt gesagt, abgeschnitten von einem Rekurs auf moralische Kategorien. Freiheit und Moral finden sich auf unterschiedlichen Ebenen.

Die Frage, ob eine Entscheidung „richtig“ ist, kann man nicht nur aus moralischer Perspektive stellen. Es gibt Situationen, wo man, zumindest im Heute, ihren Erfolg in Geld messen kann. Dort ist sie in den Bereich des Notwendigen zurückverwiesen – man hat sie nicht „frei” getroffen, sondern war aufgefordert, sich vernünftig zu verhalten. Die Rede ist hier von Entscheidungen, die im Management von Firmen getroffen werden, die im Wettbewerb bestehen müssen. Da geht es zB. darum, welche Produkte man ins Portefeuille aufnimmt; mit wem man zusammenarbeitet, um solche Produkte zu realisieren; und mit wem man eben nichts zu tun haben will, weil man in der Vergangenheit gelernt hat, daß der Versuch einer Zusammenarbeit mehr Geld kostet, als Erlös einträgt; etc.pp. Falsche Entscheidungen in diesem Bereich können dazu führen, daß Geld verbrannt wird – soviel Geld womöglich, daß die Firma vor dem Ruin steht, und ihre eigene wie auch die (materielle) Existenz ihrer Angestellten auf der Kippe steht.

Das ist nichts, womit man spielt.

Dabei kommt es nur in seltenen Fällen vor, daß einer allein entscheidet. Normalerweise bestimmt eine Gruppe von Managern über das Schicksal einer Firma, die ihre unterschiedlichen Teilgebiete vertreten – Sales, Marketing, R&D, z.B. Da geht es dann nicht darum, was ein Einzelner für richtig hält, sondern was man gemeinsam vertreten kann. Spätestens hier geht es nicht mehr um Moral oder das, was „richtig“ ist – hier wird in einem Kessel gefischt, gefüllt mit einer aus unterschiedlichen, auch persönlichen Motiven gerührten und mit Emotionen gewürzten Soße, die zuletzt allen Beteiligten noch schmecken muß.

Wie auch immer unübersichtlich die Lage im jeweils konkreten Fall ist: es gibt zwei zentrale Aspekte, um die sich die „Entscheider“, in meiner Sicht der Dinge, letztlich nicht herumdrücken können, wenn sie ihre Aktionen legitimieren wollen.

Eins: Eine Entscheidung trifft man in ihrer Zeit. Wenn man auf sie zurückblickt, kann man nachträglich feststellen, ob sie richtig war, oder nicht. Der Blick in die Zukunft war zur Zeit der Entscheidung aber komplett verbaut – niemand weiß, wie die Welt in zwei Monaten aussieht, und niemand wußte das zum Zeitpunkt jener Entscheidung: die Welt ist emergent. Dieses „Ich hab‘ es doch schon vorher gewußt“ ist ein Konstrukt, das immer, ohne Ausnahme, eine Angeberei ist, die auf sachlicher Ebene keine Sekunde standhält. Dies gilt sowohl für Fehlentscheidungen, die man jemandem im nachhinein anhängen will, wie auch für Erfolge, die man sich an die eigene Brust zu heften versucht.

Zwei: Man versucht regelmäßig, eine Entscheidung zu begründen, indem man sie als Ursache eines konkreten Resultats hinstellt – und zwar sowohl die, die sich als falsch erwies (dann sucht man nach einer Rechtfertigung), wie auch jene, die im Nachhinein richtig war (dann hilft eine Begründung, um den eigenen Einfluß auf zukünftige Entscheidungen zu maximieren). Dabei übersieht man, daß Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung immer konstruiert sind – nicht nur gelegent- und versehentlich, sondern auf einer ganz tiefen Ebene der biologischen Beschreibung von Leben selbst (sogar das Verhalten von Tauben kann man als „Suche“ nach Ursache-Wirkung-Relationen beschreiben). Wenn man eine Begründung für eine Wahrnehmung gefunden hat, vergißt man („nur allzu leicht”, wollte ich schreiben:) notwendig den gesamten Rest: in der Beschreibung der Realität werden dann nur noch Aspekte wahrgenommen, die in das Bild der Beschreibung ihrer Ursachen passen. Man blendet große Bereiche aus und rennt ganz zwangsläufig an grundlegenden Zusammenhängen vorbei.

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