Avatar
Buch & Regie: | James Cameron |
Darsteller: | Sam Worthington, Zoë Saldaña, Sigourney Weaver, Stephen Lang, Michelle Rodríguez |
Musik: | James Horner |
Auf dem Planeten Pandora bauen die Menschen ein seltenes und teuer gehandeltes Erz ab, wobei sie es mit einer höchst ungemütlichen Umwelt zu tun haben. Die Atmosphäre ist toxisch, und es wimmelt von aggressiven, fleischfressenden Tieren. Als wäre das nicht genug, gibt es noch die Na'vi, eine humanoide Spezies, die zwar über den Gebrauch von Pfeil und Bogen nicht hinausgekommen ist, sich dennoch energisch gegen das Vordringen der Menschen wehrt. Man versucht, sich ihnen zu nähern, indem man Klone zu ihnen schickt, die aussehen wie sie, aber vom temporär transferierten Bewußtsein eines Menschen gesteuert werden. Den Na'vi ist jedoch durchaus klar, daß sie mit ferngesteuerten Abgesandten der „Skypeople“ konfrontiert sind – sie nennen sie „Dreamwalker“ und wollen nichts mit ihnen zu tun haben.
Einer jener Dreamwalker wird von Jack Sully gelenkt, einem Corporal der US-Marines, der nach einer Kriegsverletzung mit gelähmten Beinen im Rollstuhl sitzt. Bei einer Forschungsexpedition im Körper seines Avatars (in dem er nicht nur gehen, sondern extrem schnell rennen kann) wird er vom Rest seiner Gruppe getrennt, und findet sich in der Nacht allein im Kampf gegen ein Rudel wolfsähnlicher Tiere. Hart bedrängt, wird er von der Na'vi Neytiri gerettet, die ihn zu ihrem Stamm führt. Dort beschließt die Gemeinschaft, es Jack zu erlauben, ihre Welt genauer kennen zu lernen. Nachdem er anfangs noch als Spion arbeitet, der seinem Colonel regelmäßig Bericht erstattet, gerät er nach und nach in den Sog einer Zivilisation, die in hohem Grad in Einklang mit ihrer Umwelt lebt.
Neytiri
… und die Darstellerin der Figur,
Zoë Saldaña
Der Film ist mit Produktionskosten von geschätzten 300 Millionen Dollar der bislang teuerste Film überhaupt. Dabei übertreffen die Special-Effects alles, was es bislang im Kino zu sehen gab. So sind die Gestalten der Na'vi im sog. Motion-Capture-Verfahren aufgenommen, bei dem die Performance von realen Schauspielern im Computer nachgearbeitet wird. Das Resultat sind Figuren, die geradezu atemberaubend natürlich agieren, obwohl sie von den menschlichen Originalen erheblich abweichen. Nicht nur das: auch die gesamte Umwelt – Wälder, Tiere, die fliegenden Berge – sind pure Phantasie, ohne künstlich zu wirken. Im Abspann werden dann auch (geschätzt) mehr als 1000 Namen von Mitarbeitern genannt, die zu großen Teilen mit der Technik beschäftigt waren.
Ursprünglich hatte ich vermutet, daß es sich hier nur um eine weitere Variante des Pocahontas-Themas handelt – Eroberer trifft edle Wilde und verliebt sich in die Tochter des Häuptlings, nur eben mit aufwendigen Effekten –, und bin allein aus Interesse an der Filmtechnik ins Kino gegangen. Tatsächlich sehen die Kritiken, die ich gelesen habe, das genau so, und bemängeln, bei allem Lob für die Leistung der Technik, die schwache Story.
Ich kann mich dieser Sicht jedoch nicht länger anschließen. Ich habe den Film zweimal gesehen, zuerst in deutscher Synchronisation und in 3D, am Tag darauf im englischsprachigen Original in herkömmlichem 2D, und mich in den jeweils 160 Minuten keine Sekunde gelangweilt. Dafür ist der hohe Schauwert der Effekte sicherlich einer der Gründe – wobei der Spaß an der 3D-Projektion bei mir relativ rasch zuende war, und auch die überaus farbenprächtige Welt auf Pandora irgendwann selbstverständlich wurde. Irgendwie muß das anhaltende Interesse demnach schon mit der Erzählung zu tun haben, und das bezieht sich nicht auf die eher magere Storyline vom Kampf der naturverbundenen Aliens gegen die fiese Menschheit, und auch nicht auf die reichlich stereotyp gezeichneten Charaktere.
Der entscheidende Punkt ist die Konstruktion der Begründung für die Integration der Na'vi in ihre Welt. Das sind eben keine esoterischen Spinner, die in ihrer Not nicht anders können, als an die mystische Verbundenheit alles Lebenden zu glauben. Vielmehr sind es biologisch erklärte Phänomene, die eine unmittelbare Erfahrung dieser Verbundenheit ermöglichen: jedes Lebewesen auf Pandora verfügt über einen nach außen verlegten Nervenstrang, mit dem es sich mit einem anderen Lebewesen verbinden kann. Auf diese Weise bildet der Reiter mit seiner Kreatur eine echte Einheit, die er mental steuert – sofern diese das will und ihn vorher auserwählt. Auch der Wald ist am Leben: alle Pflanzen haben Nervenzellen und sind miteinander verbunden, wobei es den Na'vi möglich ist, sich in dieses Netzwerk einzuklinken. Der Glaube der Mystik, daß alles Lebendige einen gemeinsamen Kern hat, ist hier eine biologische Tatsache, die den Hintergrund für die Biogenese des gesamten Planeten bildet.
Wenn man sich vor Augen hält, daß mystisches Denken in der gesamten Menschheitsgeschichte und quer durch alle Religionen eine wichtige Rolle spielt, und möglicherweise die einzige Konstante darstellt, die sämtliche Gesellschaften quer durch alle Zeiten und Erdteile verbindet, bekommt man eine Vorstellung, warum der Weltentwurf in „Avatar“ für den Zuschauer solch eine zwingende Kraft bekommen kann. Hier fallen naturwissenschaftliches Denken und mystische Gewißheit zusammen. An der Welt der Na'vi kann man weder mit naturwissenschaftlichem Positivismus, noch spiritueller Phantasie zweifeln – man kann sich nur in sie verlieben.
Diese Zusammenhänge weiß auch der Film. Es gibt eine Sequenz, in der Jack seinem Na'vi-Stamm die ursprünglichen Motive seines Handelns beichtet. Einen Moment dachte ich, jetzt kommt doch die Pocahontas-Thematik in Reinform: Jack sagt (sinngemäß): „Then I fall in love...“, und ich hatte befürchtet, er wendet sich jetzt an Neytiri, „...to the forest, to the whole planet..“, und erst jetzt sieht er die Frau an, „...and you“. Pocahontas/Neytiri kommt erst an dritter Stelle, und auch das ist im Zusammenhang eine mystische Erfahrung.
Der zentrale Satz im Film lautet: „I see you“, und das bezieht sich nicht auf die einfache Form des Sehens, sondern auf die Wahrnehmung der kompletten, zuerst fremden Person (und ist damit auch durch „I love you“ nicht ersetzbar). Gegen Ende des Films gibt es eine Begegnung zwischen Neytiri und dem realen Jack Sully – das drei Meter große, blauhäutige und katzenhaft geschmeidige Alien sagt den Satz zu einem auf dem Boden liegenden, gelähmten Mann, den nur eine Atemmaske vom Ersticken trennt. Für mich ist dies eine der bewegendsten Szenen, die das Kino vorzuweisen hat, und meilenweit entfernt von jedem Klischee. Ein Zyniker mag dies anders sehen.