27.11.2009

Aktive und passive Negation

Es gibt einen Unterschied zwischen aktiver und passiver Negation. Ich kann einem Satz A in zweierlei Weise widersprechen: einmal, indem ich sage, daß B richtig sei, und A falsch, weil nicht beide gleichzeitig richtig sein können; zum anderen, indem ich sage, B sei richtig, und genau aus diesem Grunde A falsch („Tertium non datur“ - ein Drittes kann es nicht geben). Der Unterschied ist auf den ersten Blick subtil, hat es aber in sich.


Jon Elster[1] formalisiert das wie folgt:

Der (unbestreitbare) Widerspruch lautet: Nicht (A und nicht-A). Also: wenn A richtig ist, kann nicht-A nicht richtig sein. In C-Pseudocode:

!(A && !A).

Das kann man in Form einer passiven Negation auflösen: Nicht (A und B).

!(A && B).

Die Form der aktiven Negation lautet so: Entweder A oder B.

(A || B)


Sätze der allgemeinen Logik kann man entweder in die eine oder die andere Richtung auflösen – es bleibt vollkommen klar, welches hier die aktive und welches die passive Form ist. Elster zitiert (den vorkritischen) Kant: „Die passive Negation der Ruhe ist die Bewegung, die aktive Negation ist die Bewegung in die umgekehrte Richtung.“ Hier gibt es kein Problem, das eine Phänomen vom anderen zu unterscheiden.

Bei Fragen der Moral besteht der Unterschied in der Unterscheidung der Modi. Kant: „Die passive Negation der Aufmerksamkeit ist die Gleichgültigkeit; die aktive ist die Abschweifung“. Elster kommentiert: „Wir würden heute sagen, daß die Absenz des Bewußtseins von x etwas anderes ist als das Bewußtsein der Absenz von x.“ Man wechselt an dieser Stelle nicht die (physikalisch meßbare) Richtung, sondern unterscheidet im Modus der Fragestellung. Man unterscheidet keine Phänomene, sondern unterscheidet Unterschiede.

Die Konsequenzen treten dann zutage, wenn man die Art, logische Sätze zu unterscheiden, mit dem Modus verwechselt, in dem man über moralische Fragen urteilt. Dann heißt es plötzlich: wer nicht mit uns ist, ist gegen uns.

In dieser Darstellung fehlt allerdings immer noch eine zentrale Frage: wer sagt mir, daß B die Negation von A ist? In den Konstrukten oben wurde unterstellt, daß "nicht-A" gleich "B" sei – wer sagt, daß das so stimmt? Schlimmer noch – im Fall von moralischen Fragen: wer übernimmt die Verantwortung, wenn die Gleichsetzung schief geht?

  1. [1] Jon Elster in: Paul Watzlawski: Die erfundene Wirklichkeit. München 2008. S.166 ff
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