26.11.2009

Notiz - Aktive und passive Negation

Ich bewege mich in der Stadt entweder per pedes, oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Mein Auto fährt mich nur zur Arbeit. U-Bahn vermeide ich möglichst. Wenn es geht, fahre ich überirdisch. Am liebsten sitze ich in der letzten Reihe im dreiachsigen Bus. Dort habe ich den besten Überblick über das Publikum, kann mich aber bei einer uninteressanten Besetzung auch jederzeit dafür entscheiden, nach draußen zu schauen. Ganz gelegentlich genieße ich es sogar, U-Bahn zu fahren - z.B., wenn ich ein Buch lesen will, und nach zwei Glühwein mit Rum auf dem Weihnachtsmarkt ohnehin nicht mehr in der Lage bin, auf das achten, worauf es ja eigentlich ankommt (das Aussehen der zugestiegenen jungen Frauen).

Heute war es wieder soweit - und ich bin der stolzen Meinung, ein elementares Konstrukt der Logik kapiert zu haben: die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Negation.

Diese Eitelkeit dürfte sich morgen in Luft auflösen, wenn sich Wein und Rum im Kopf verflüchtigt haben, und ich versuchen sollte, das Konzept in eigenen Worten wiederzugeben. Ich nutze mal die gerade aufgestaute Euphorie, um die zentralen Stellen des gerade gelesenen Textes abzutippen:

I. Person A glaubt an die Wahrheit des Satzes p [abgekürzt: A glaubt p].
II. Es trifft nicht zu, daß Person A p glaubt [abgekürzt: Nicht (A glaubt p)].
III. A glaubt an das Gegenteil von p [abgekürzt: A glaubt nicht-p]).

Der Satz II ist die passive Negation von Satz I; der Satz III die aktive. Die Negation der formalen Logik ist um allgemeinen die passive Negation. So stützen sich zum Beispiel die Gesetze des Denkens immer auf die passive Negationsform.

(Jon Elster in: Paul Watzlawski: Die erfundene Wirklichkeit. München 2008. S.166)

Die später folgenden Beispiele machen etwas besser klar, worum es hier geht. Elster referiert Unterscheidungen des vorkritischen Kant (Listenform von mir):

  • (1.) Die passive Negation der Ruhe ist die Bewegung, die aktive Negation ist die Bewegung in die umgekehrte Richtung.
  • (2.) Die passive Negation des Wohlstands ist die Armut, die aktive ist die Verschuldung.
  • (3.) Die passive Negation des Vergnügens ist entweder die Gleichgültigkeit oder der Gleichmut und entspricht der Abwesenheit der Ursachen von Vergnügen und Mißvergnügen und der Präsenz ihrer jeweiligen Ursachen, die sich in ihrer Wirksamkeit aufheben; die aktive Negation ist das Mißvergnügen, die Unlust.
  • (4.) Die passive Negation der Tugend ist nicht die Unterlassungssünde, die ebensowenig wie die Begehungssünde die aktive Negation der Tugend ist; einzig die »Mängel der Heiligen und die Fehler edler Seelen« repräsentieren die passive Negation.
  • (5.) Die passive Negation der Aufmerksamkeit ist die Gleichgültigkeit; die aktive ist die Abschweifung: wir würden heute sagen, daß die Absenz des Bewußtseins von x etwas anderes ist als das Bewußtsein der Absenz von x.
  • (6.) Die passive Negation der Verpflichtung ist die Nicht-Verpflichtung, die aktive das Verbot.
  • (7.) Die passive Negation der Begierde ist ebenfalls die Gleichgültigkeit, die aktive die »Verabscheuung«; wir würden sagen, die Abwesenheit des Wunsches nach x ist etwas anderes als der Wunsch nach Abwesenheit von x.
  • (John Elster, aaO., S. 169f).

    Ich habe den Verdacht, daß ich diese Zitate später noch einmal brauchen könnte - dann ohne Glühwein mit Rum im Kopf, und dankbar für die Option auf Copy&Paste.

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