4.10.2009

Damages - Season 1

[Vorsicht, Spoiler. Ich erzähle zwar vom Inhalt lediglich die Ausgangssituation und verrate nichts vom Ende. Trotzdem sollte man diese wirklich herausragende Serie am besten ansehen, ohne mehr davon zu wissen, als daß Glenn Close hier eine coole, trickreiche Anwältin spielt.]

Glenn Close ist Patricia Hewes, eine auf Zivilrecht spezialierte Anwältin in New York. In den dreizehn Folgen der Serie geht es um einen einzigen Fall - die Sammelklage von fünftausend ehemaligen Angestellten einer Firma, die von ihrem Besitzer betrügerisch in den Bankrott getrieben wurde. Dadurch wurden nicht nur die Arbeitsplätze vernichtet, sondern - fast schlimmer noch - auch alle Rentenansprüche. Es geht um Schadensersatz, und da es sich hier um einen dreistelligen Millionenbetrag handelt, ist jedes Mittel recht, um die Gegenseite unter Druck zu setzen. In „Damages“ lernt man beide Seiten kennen: Arthur Frobischer, der sein Geld dazu benutzt, die besten Anwälte zu bezahlen und später auch vor drastischen Maßnahmen nicht zurückschreckt, wird ebenso facettenreich charakterisiert wie die Gegenseite, Patty Hewes und die Anwälte ihrer Kanzlei. Im Vordergrund steht jedoch das Verhältnis von Patty zu ihrer jüngsten Untergebenen – Ellen Parsons hat gerade ihr Studium beendet und startet mit äußerstem Ehrgeiz und Idealismus ihre Karriere in jener Anwaltsfirma, die sie vor allen anderen am meisten bewundert. Sie glaubt, sie habe schon mit ihrem ersten Job das große Los gezogen, muß aber nach und nach zu erkennen, daß ihre Vorstellungen von Recht und Gesetz naiv sind und auf Illusionen beruhen.

Das könnte jetzt eine mehr oder weniger vorhersehbare Geschichte über eine Frauenbeziehung werden, in der der Mentor dafür sorgt, daß sein Schützling wächst und sich entwickelt. Durch einen Trick im formalen Aufbau hat solches Schema-F aber gleich zu Beginn keine Chance: die Geschichte wird rückwärts erzählt. Gleich in der ersten Szene sieht man eine junge Frau, die blutbeschmiert orientierungslos und verzeifelt durch New York irrt, bevor sie von der Polizei in Gewahrsam genommen wird. Noch in der ersten halben Stunde erfährt man, was passiert ist: Ellen Parsons hat die blutüberströmte Leiche ihres Verlobten in der Badewanne der gemeinsamen Wohnung gefunden. Der Hauptstrang der Erzählung findet dann in einem zeitlichen Rücksprung statt, wo gezeigt wird, wie es zu dem Mord kam. Nun ist aber der gesamte Rest der zwölf Folgen keine Rückblende. Die „Gegenwart“ wird Schritt für Schritt immer weitergeführt, wobei die „Vergangenheit“ langsam aufholt, bis sich die beiden Ebenen schließlich treffen und sogar kreuzen. Es gibt eine ganz außergewöhnliche Szene in einer der letzten Folgen der Serie, als Ellen, nachdem der Mord längst geschehen ist, die Crime Scene noch einmal abgeht und in ihren Rundgang in schneller Montage der Hergang des Verbrechens geschnitten wird.

Ich hätte nicht für möglich gehalten, daß diese Erzähltechnik bei einer Serie funktioniert, die ja Woche für Woche fortgeschrieben wird, ohne daß am Anfang gleich ein komplettes Drehbuch vorliegt. Angesichts der Dichte und unwiderlegbaren Logik der Handlung hatte ich sogar gedacht, daß man es hier mit einer Ausnahme, einem vor Drehbeginn entwickelten Skript zu tun hat. Wie dem „Making-Off“ zu entnehmen ist, gab es wohl tatsächlich zu Beginn zumindest ein grobes Konzept für den Rahmen der Handlung. Trotzdem hat man aber Woche für Woche die Episoden geschrieben, deren konkrete Wendungen für den Rest des Teams zuweilen völlig überraschend kamen. Man konnte dadurch den großen Vorteil einer Serie nutzen, die über einen langen Zeitraum ihre Figuren ausleuchten und in die Tiefe führen kann - wobei die Autoren zudem noch Rücksicht auf die besonderen Fähigkeiten der Schauspieler nehmen können. Gerade im Zusammenspiel der Darsteller ergeben sich wohl immer wieder erst am Set überraschende Konstellationen, die für das Drehbuch spontan fruchtbar werden – ein großer Vorteil von Serien gegenüber einem im Vorhinein in jedem Detail festgelegten Spielfilm.

Das ist für „Damages“ schon allein deshalb wichtig, weil alle Figuren (bis auf eine Ausnahme) keinerlei Klischee entsprechen – es gibt hier niemanden, der ausschließlich „gut“ oder „böse“, „schwarz“ oder „weiß“ wäre. Alle Charaktere machen sich in irgendeiner Weise die Hände dreckig und schillern in einem großen Spektrum grauer Töne. Das erfordert außergewöhnliche Darsteller, und es gibt im Cast niemand, der negativ herausfällt. Glenn Close spielt hier sicherlich die Rolle ihres Lebens – trotzdem finde ich in erster Linie die Leistung des in sich stimmigen Ensembles bemerkenswert.

Ich habe gestern (Feiertag; regnerisches Herbstwetter) einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt, und die komplette Serie an einem einzigen Tag geguckt – das sind Pilot (eine Stunde) plus zwölf Folgen a 40 Minuten glatte neuen Stunden vor dem Bildschirm. Dabei macht solch ein Gewaltakt bei „Damages“ durchaus Sinn. Es gibt dort keine regulären Zusammenfassungen der vorherigen Folgen - was angesichts der enormen Dichte des Inhalts auch kaum möglich wäre. Selbst die wenigen „Catch-ups“ wiederholen vorherige Szenen nur, um neue Details zu enthüllen.

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