Freiheit & Not (2)

(Themenanfang)

Wenn Gott grenzenlos gut und gleichzeitig allmächtig ist – wie ist es dann möglich, daß es Böses gibt in der Welt? Wie kann es sein, daß unter Gottes allwissendem Auge Naturkatastrophen geschehen und Kriege geführt werden?

Das sind Fragen, die nicht nur Kinder stellen, sondern die – unter dem Namen der Theodizee – eine zentrale Rolle in jeder Diskussion über Glaubensdinge spielen.

In einer berühmten Formulierung, die als „Epikurs Dilemma” bekannt ist, lautet sie so:

Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es. Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er mißgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl mißgünstig wie auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann, was allein sich für Gott geziemt, woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht weg?

Die Antwort, die in der Romantik gefunden wurde – ausgerechnet in einem Moment, in dem man ausrief, Gott sei tot – bezieht sich auf die Unvereinbarkeit zwischen der Freiheit, die Gott den Menschen auf den Weg gegeben hat, und dem Ausschluß der Möglichkeit, sich vom Pfad der Tugend zu entfernen. Sie lautet: nur wer in der Lage ist, Böses zu tun, ist frei, und nur eine Schöpfung, in der die Menschen frei sind, ist vollkommen. Hätte Gott dem Menschen den freien Willen vorenthalten, wäre seine Schöpfung unvollkommen und damit nichtig, weil sie dann letztlich nur ein Spiegel seiner selbst wäre, ohne die Möglichkeit, sich von ihm zu lösen und einen eigenen, gottlosen Weg zu gehen.

Thomas Mann schreibt (im Doktor Faustus):

Das Böse, der Böse [war] selbst ein notwendiger Ausfluß und ein unvermeidliches Zubehör der heiligen Existenz Gottes selbst; wie denn auch das Laster nicht aus sich selbst bestand, sondern seine Lust aus der Besudelung der Tugend zog, ohne welches es wurzellos gewesen wäre; anders gesagt: es bestand in dem Genuß der Freiheit, d.h. der Möglichkeit, zu sündigen, die dem Schöpfungsakt selbst inhärent war. – Hierin drückt sich eine gewisse logische Unvollkommenheit der Allmacht und Allgüte Gottes aus, denn was er nicht gekonnt hatte, war, der Kreatur, also dem, was er aus sich entließ, und was nun außer ihm war, die Unfähigkeit der Sünde anzuschaffen. Dies hätte geheißen, dem Geschaffenen den freien Willen vorzuenthalten, sich von Gott abzukehren, – was eine unvollkommene, ja überhaupt keine Schöpfung und Entäußerung Gottes gewesen wäre.

Man kann (und hat es getan) mit diesem Thema dicke Bücher füllen. Erwähnt sei hier nur Schopenhauers Konzeption eines Gottes, der nicht gerecht, sondern übergerecht ist. – Dann muß man natürlich auf Nietzsche verweisen, dessen Kritik des klassischen Gottesbegriffs bei näherem Hinsehen ja keineswegs darauf hinausläuft, Gott abzuschaffen – er entreißt ihn lediglich einer Theologie, die ihn mit logischen Operationen dem Begreifen der Menschen Untertan machen will, statt ihn seiner eigenen, göttlichen Sphäre zu belassen.

Dabei geht es mir an dieser Stelle ja nur darum, die grundlegende Unvereinbarkeit der Prinzipien von Freiheit und Gerechtigkeit – nun: anzudeuten. Wer frei ist, ist zwangsläufig in der Lage, Böses – Ungerechtes – zu tun. Mehr noch: erst in dem Moment, wo er ungerecht ist und böse handelt, beweist er seine Freiheit und wird dadurch überhaupt erst zum Menschen.