Handwerker und Genies (15)

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Die Genies in den Künsten haben in der Gesellschaft des Bürgertums eine Doppelfunktion. Zum einen beschwören sie ein utopisches Jenseits, eine Überschreitung der Grenzen einer als ungenügend empfundenen Realität. Zum anderen sind sie aber gleichzeitig integraler und auch integrierender Bestandteil genau jener Gesellschaft, über die sie sich erheben wollen.

Der Aufstieg des Bürgertums erfolgt in zwei Strängen, die parallel, aber unsynchronisiert nebeneinander herlaufen - der zunehmenden ökonomische Bedeutung auf der einen; sowie der Notwendigkeit, die eigene Bedeutung anders zu legitimieren als bloß durch den Besitz der Produktionsmittel auf der anderen Seite. Der Adel definierte sich nicht über Besitz oder Geld, sondern über das Recht der Geburt, mit dem die Erwartung einer bestimmte Haltung verbunden war. Es gab verarmte Adlige, die gleichwohl vollen Zugang zu den Eliten hatten und an der politischen Macht partizipierten. Wenn die Bürger ihnen gleichberechtigt gegenübertreten wollten, mußten sie sich durch eine bestimmte Haltung auf einer geistig-moralischen Ebene legitimieren, sobald sie politischen Einfluß erreichen wollten. Diese Legitimität garantierte - ganz zu Beginn und auch in der Folge - die Identifikation mit Bildung, Moral, und Kunst. Im 19.Jh. gelangten alle Künste zu einer ganz besonderen Blüte, und den Künstlern wurde eine gesellschaftliche Bedeutung zugestanden, wie nie zuvor in der Geschichte.

Der Herausforderung an die Bürger, sich dem Adel gegenüber zu legitimieren, wird spätestens in den Gründerjahren (in der Folge der Reichsgründung 1871) zumindest objektiv obsolet. Dabei ist die Gesellschaft aber derart von der Idee einer das Leben erhebenden und überhöhenden Kunst geprägt und durchdrungen, daß sie auch in der Folge größte Bedeutung für die ideologische Grundausstattung der Zeitgenossen behält. Mit der Veränderung der ökonomischen Verhältnisse ändert sich nämlich auch das Verständnis der Rolle von Kunst für die Kultur - hinterrücks, zunächst unbemerkt, und ohne dem Begriff seine Bedeutung zu nehmen. Irgendwann bleibt dort nur noch eine bloße Kulisse. Spätestens mit dem Aufkommen des Films kann man beobachten, wie sich Kunst immer einfacher in die konkreten Gegebenheiten der ökonomischen Sphäre eingliedern läßt - bis sie schließlich jeden Widerstand fallen läßt und zur leicht verkäuflichen Ausstattung einer Wahrnehmung wird, die die jeweils geläufige Mode inszeniert.