7.9.2009

Handwerker und Genies (14)

(Themenanfang)

Der Begriff des „Stars” ist dem des „Genies” ebenso nahe verwandt wie diametral entgegengesetzt (und ich springe im Folgenden quer durch die Zeiten, wenn ich den Star des 20.Jh mit dem Genie des 19.Jh in Beziehung setze). Die Popsängerin Madonna wird man schwerlich als Genie bezeichnen, wobei sie zweifellos ein Star ist. Umgekehrt ist Richard Wagner nicht nur ein (umstrittenes) Genie, sondern ebenso ein waschechter Star seiner Zeit. Dann wird noch darüber gestritten, wer als Genie gilt, und wer nicht - Cosima Wagner lehnt es beispielsweise entschieden ab, Anton Bruckner als Genie zu bezeichnen, auch wenn sie ihm zugesteht, das kompositorische Handwerks meisterhaft zu beherrschen. Madonna wiederum wird kaum jemand deshalb loben, weil sie irgend eine Sache außergewöhnlich gut kann - die Fähigkeit, alle paar Jahre sich selbst neu zu erfinden, vielleicht ausgenommen.

Es gibt drei unterschiedliche Ebenen. Zunächst das Handwerk. Kein Genie kommt ohne es aus. Das wird gern in den Hintergrund geschoben, weil es viele Komponisten gibt, denen man vorwirft, sich im Handwerklichen zu erschöpfen. Trotzdem ist es eine unverzichtbare Grundlage - es gibt kein Genie ohne ausführliche Ausbildung oder Fleiß bei der Arbeit. Wenn Adorno etwa versucht, Wagner in die Nähe eines Dilettanten zu rücken, der sein Handwerk nicht recht verstehe, nimmt er letztlich nur einen Umweg, um dessen Status als Genie ins Lächerliche ziehen.

Für einen Star hingegen ist es keineswegs Voraussetzung, irgend etwas zu können. Ein absolutes Gehör etwa gilt heute als unerläßlich für einen Toningenieur - aber nicht für einen Gitarristen (der ein sorgfältig trainiertes Gehör schon allein dafür bräuchte, die Saiten seines Instrument zu stimmen). Die Fähigkeit, Notenschrift zu lesen, scheint für einen Musiker (im Popbereich) ein größeres Hindernis zu bedeuten, berühmt zu werden und zu Starruhm aufzusteigen. Es gibt Popsänger, die keine Stimme haben - usf.

Wohlbemerkt: im Bereich der Popmusik gibt es ganz herausragende Sänger, Gitarristen, Songwriter, etc.pp., und das Fehlen einer formalen Ausbildung besagt keinesfalls, daß jemand etwas nicht kann. Irgendein Können ist aber keine notwendige Bedingung, um es zum Star zu bringen.

Zum Zweiten gibt es die Aura des Übermenschlichen, die das Genie, zumindest in der Zeit der Romantik, umweht. Ein bloßer Handwerker kann, so klingt es gelegentlich an, jeder werden, so er nur fleißig ist und zumindest über ein rudimentäres Talent verfügt. Talent allein reicht jedoch nicht aus, um jene geheimnisumwitterten Werke zu schaffen, die einem Komponisten einen Platz im Kreis der Ewigen verschaffen. J.S.Bach, Beethoven, oder Wagner - man kann sich die Sache nicht anders erklären, als daß man ihr Wirken als unerklärlich betrachtet (da stört es wenig, daß Bach sich selbst - in Abwesenheit des Begriffs zu seiner Zeit - nie als Genie bezeichnet hat). Dafür vergibt man dem Genie so manches, was man einem Normalsterblichen niemals durchgehen ließe. Wagner hat ein Leben auf Pump gelebt, und seine Weibergeschichten sind legendär, mindestens ebenso wie Beethovens Ruppigkeit im Umgang mit seinen Mitmenschen und sein mangelnder Respekt Höhergestellten gegenüber. Wenn ein Unsterblicher wie J.S.Bach ein unaufgeregtes Leben als Kantor und Familienvater geführt hat, ist man sogar ein wenig verwundert - als wenn dort an seinem genialen Wesen ein wichtiger Zug unterdrückt wäre.

Die Aura des Übermenschlichen umgibt auch die Stars, wenn auch in einer vermittelten, vom Handwerk entkoppelten Form. Vom Rockstar wird geradezu erwartet, daß er Hotelzimmer zerstört und Drogen nimmt, daß er also Regeln verletzt, die für alle anderen gelten. Im Unterschied zum Genie muß er dafür aber im Gegenzug nichts leisten - man behandelt ihn wie ein unschuldiges Kind, das wie zufällig über die Stränge schlug.

Wilhelmine Schröder-Devrient verurteilt man nicht, obwohl sie ein - im Rahmen der Zwänge ihrer Zeit - wildes Leben führt, gar ihre Kinder zurück läßt. Dies verzeiht man ihr aber nur, weil man ihre Schauspielkunst nicht anders erklären kann, als man in dieser einen Spiegel ihres gelebtes Leben vermutet. Madonna hingegen kann mit Kreuzigungsmethaphern spielen oder Britney Spears auf der Bühne küssen, ohne daß sie diese Provokationen irgendwie rechtfertigen müßte.

Die Provokationen der Stars gehen dabei allenfalls soweit, daß die Polizei einschreiten muß. Die Genies hingen riskieren es gelegentlich, von der gesamten Gesellschaft geächtet zu werden. Beethovens Aufsässigkeit gegen adlige Konventionen sprengen ebenso den Rahmen, wie jene Wagners gegen den Begriff von Anstand in der Viktorianischen Zeit. Ein Kuß zweier Frauen hingegen ist heutzutage allenfalls ein Ärgernis für einige allzu konservative Geister. Beim Genie sind es nicht nur äußerliche Grenzen, die sie überschreiten, sondern manchmal auch solche, die an die Wurzeln der Gesellschaft rühren.

[Der dritte Punkt - die gesellschaftliche Funktion - folgt.]

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