4.9.2009

András Schiff spielt Beethoven

Die gestern erwähnte Klaviersonate op.111 von L.v.Beethoven kenne ich in einer Aufnahme mit Alfred Brendel. Es gab irgendwann eine Doppel-CD für wenig Geld, auf denen die letzten sechs Klaviersonaten versammelt sind. Die Aufnahmen stammen aus den 70er Jahren - das klingt schon ein wenig muffelig und hat eine reduzierte Dynamik, ist aber für Klavier solo durchaus erträglich. Die Interpretation Brendels ist gewohnt sachlich - er spielt die Noten so, wie sie auf dem Blatt stehen (was keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist).

Ich habe heute eine aktuelle Aufnahme dagegen gestellt, und zwar die Einspielung von András Schiff für ECM aus dem letzten Jahr. Die Aufnahmequalität ist exzellent, wie ich das von ECM auch nicht anders erwartet hätte. Das Klavier ist in sämtlichen Lagen klar durchhörbar, was bei den extrem zwischen Diskant und Bass auseinander gerissenen Passagen einen komplett anderen Eindruck erzeugt, als das bei den Brendel-Aufnahmen der Fall war - man hört jetzt plötzlich die Akkorde, wo vorher nur ein ungefähres Murmeln wahrnehmbar war.

Auch und gerade die Interpretation von András Schiff finde ich überzeugend. Er wählt durchgehend zügige Tempi, was gerade dem letzten Satz von op.111 zugute kommt. Wo Brendel fast unerträglich langsam ist, bekommt man bei Schiff auf Anhieb den Puls des 9/16-Taktmaßes zu fassen, und kann - auch ohne Noten zu lesen - nachvollziehen, wie Beethoven in den ersten drei Variationen langsam und allmählich die rhythmische Dichte erhöht, bis sie in der vierten plötzlich in ein impressionistisches Flirren zerfließt. Die Vorschriften für forzati und subito-fortes werden durchaus ernst genommen, ohne daß den Akzenten mit entsprechender Agogik neben ihrer rhythmischen Funktion noch zusätzlich Bedeutung mitgegeben wird - das ergibt eine geradezu reinigende Wirkung, die die Patina der romantischen (oder romantisierenden) Tradition gründlich entfernt.

Alles in allem ist das ein bemerkenswert unaufgeregtes Herangehen an ein von Legenden umwittertes Werk, bei dem die Struktur der Stücke offen gelegt wird, ohne neue Geheimnisse zu erfinden (ich wollte eigentlich sagen: Schmalz an die Sache heranzutragen). Schiff hat übrigens sämtliche Klaviersonaten Beethovens eingespielt - ich werde da sicherlich noch die eine oder andere CD anschaffen (auch wenn die mit je knapp €20,- nicht gerade billig sind).

Im lesenswerten Booklet gibt Schiff noch im Gespräch eine recht ausführliche Analyse der unterschiedlichen Stücke - und verweist hier natürlich prompt auf die Beschreibung von op.111 in Thomas Manns Doktor Faustus. Ich bin da offenbar nicht der erste, der die Stringenz und Stimmigkeit der Mann'schen Darstellung bewundert.

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