2.8.2009

Musikinstrumente (4)

(Themenanfang)

Der Sänger und der Toningenieur stehen auf entgegengesetzten Polen, wenn man Musiker nach dem Grad der Mechanisierung ihrer Instrumente anordnet, mit dem Pianisten in der Mitte zwischen den beiden Extremen. Interessant ist die unterschiedliche Wertung im Publikum für die unterschiedlichen Professionen: während derjenige, der mit den Mitteln eines Tonstudios arbeitet, allenfalls als fähiger Techniker durchgeht, kann ein hervorragender Pianist sich als Virtuose feiern lassen. Das Ansehen von Sängern übertrifft dies bei weitem: die Stars an der Oper sind die Diven und Heldentenöre, die man zuweilen zu Halbgöttern verklärt und denen man eine Verehrung entgegenbringt, die gänzlich irrational wirkt.

Ich vermute, daß diese Form der Wertschätzung ganz direkt mit dem Grad der Mechanisierung der Instrumente zusammenhängt. Wenn es um Technik geht, hat jeder Mensch der Moderne das Gefühl, es mit etwas grundsätzlich Berechenbaren zu tun zu haben, das man zur Not noch selber lernen und beherrschen könnte. Wir sind den Umgang mit Geräten und Apparaturen gewohnt, und bringen den wirklichen Könnern an den Knöpfen und Schaltern vielleicht Respekt entgegen, geraten über ihr Wirken aber nur selten in echtes Staunen.

Anders sieht das aus, wenn man hoch ausgebildeten manuellen Fähigkeiten gegenüber tritt, von denen man sich unmöglich vorstellen kann, daß man sie sich jemals selber antrainieren könnte. Jeder kann auf einem Klavier ein paar unbeholfene Töne spielen - umso erstaunlicher wirkt es, wenn jemand mit großer Kraft und Geläufigkeit das komplette Spektrum der Tastatur abgreifen kann, so daß es zuweilen wie ein ganzes Orchester klingt und man sich nicht erklären kann, wie so etwas mit nur zwei Händen hinzubekommen ist.

Ein ausgebildeter Sänger erreicht seine Zuhörer völlig unvermittelt, ohne zwischengeschaltete Instanzen, mit denen diese sich die erreichte Wirkung notfalls noch erklären könnten. In der Oper und im Konzertsaal gibt es keine Mikrophone oder Verstärker. Es ist selbst für einen musikalischen Laien ein beeindruckendes Erlebnis, wenn eine einzelne Stimme die gesamte Oper füllt und sich noch gegen ein Orchester durchzusetzen vermag. Trotzdem ist jeder Gesang uns äußerst vertraut - wenn keine Worte mehr helfen, läßt ein Baby sich womöglich durch ein Wiegenlied trösten. Ein ausgebildeter Sänger löst beim Hörer ein eigenartiges Wechselspiel zwischen Vertrautheit und Erschrecken aus - er tut etwas, was jeder kann, dies aber mit einer Durchschlagskraft, gegen die jedes Gebrüll auf dem Kasernenhof wie ein harmloses Flüstern wirkt. Man steht vor einem Phänomen, dessen Wirkung jeder Rationalisierung widersteht.

Das ist zunächst nur die Beschreibung von Idealtypen. Im Barock etwa gibt es den Typus des Sänger-Virtuosen, der sich nicht durch die Schönheit seiner Stimme, sondern seine „geläufige Gurgel” (Mozart) auszeichnet, mit der er vertrackte Koloraturen ausführen kann. Unter den Pianisten findet sich nicht nur die Figur Franz Liszt, der in seinen Konzerten mindestens eine Saite seines Instruments zu sprengen pflegte - ein Alfred Brendel ist u.a für seine Mozart-Interpretationen berühmt, die in technischer Hinsicht völlig unspektakulär sind. Auch unter den Tontechnikern bzw. Produzenten finden sich mittlerweile Stars, die man gelegentlich ebenso feiert wie die von ihnen produzierten Sänger - mir fällt hier Rick Rubin ein, der erst Johnny Cash, dann Neil Diamond aus der Versenkung holte, und dafür in Lobeshymnen nicht nur in der Fachpresse besungen (sic!) wurde.

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