25.7.2009

Most (6 - Im Krankenhaus)

(Kompletter Text)

Als ich direkt nach der Aufnahme im Rollstuhl zum Röntgen, kurz danach ins Zimmer geschoben wurde, hatte ich eine Weile den Eindruck, Teil eines schlechten Films zu sein. Das Krankenhaus von Most stammt schätzungsweise aus den 70er Jahren, und seitdem hat es kaum eine umfassende Sanierung erlebt. Die Kacheln an den Wänden wirkten verblichen, und man konnte überall in der Einrichtung starkte Gebrauchsspuren sehen. Die Beleuchtung in den Gängen mit ihren stellenweise leicht flackernden Neonröhren verstärkte den Eindruck, in der Kulisse eines Gruselfilms unterwegs zu sein.

Das Zimmer teilte ich mit vier Männern, die durchaus munter miteinander am Reden waren - freilich in einer Sprache, in der ich nicht einmal „Ja”, „Nein”, oder „Danke” sagen kann. In meinem angeschlagenen Zustand hatte ich nicht die leiseste Ahnung, was ich von meinen Zimmergenossen zu erwarten hatte - ich muß (nachträglich doch sehr beschämt) zugeben, daß ich als erstes meine Geldbörse in einer Schublade in Sicherheit brachte, die sich nur mit einigem Getöse öffnen ließ.

Der erste Eindruck entsprach dann aber nicht im Mindesten dem, was mich in den nächsten Tagen erwartete. Die ersten 24 Stunden war ich weitgehend teilnahmslos, hing am Tropf und war fast ununterbrochen am Schlafen. Trotzdem hat man sofort versucht, mit mir ins Gespräch zu kommen - mit Händen, Füßen, und ein paar Brocken Deutsch und Englisch. Nach kurzer Zeit hatte ich verstanden, daß im Zimmer Unfallopfer versammelt sind - einer mit einem schweren Motorradunfall im Straßenverkehr, ein anderer mit einem Riß der Achillessehne vom Fußballspiel. Man hat mich auch später unter die Fittiche genommen, etwa am Morgen, als ich offiziell zwar von der radikalen Null-Diät (nichts zu Essen, nicht einmal Flüssigkeit) der ersten Nacht entbunden war, man mir aber kein Frühstück brachte: da wurde mit großer Selbstverständlichkeit geteilt, und ich bekam ein Brötchen und etwas Obst. Das ging später immer so weiter: weil ich kein tschechisches Geld hatte und deshalb nicht im Krankenhaus-eigenen Kiosk einkaufen konnte, schenkte man mir eine halbe Tafel Schokolade, ein Flasche Mineralwasser, usf. - und später sogar ein T-Shirt (wahrscheinlich hat man den Anblick meines vom Krankenhaus gestellten Schlafanzugs nicht mehr ertragen).

Ganz besonders zu einer für ein Krankenhaus geradezu unglaublich entspannten Atmosphäre haben freilich die Krankenschwestern und Pfleger beigetragen. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, es hier mit Personal zu tun zu haben, das unterbezahlt und überarbeitet seiner Pflicht nachkommt. Obwohl am Wochenende offenbar 36-Stunden-Schichten gefahren wurden, haben die Schwestern permanent untereinander und mit den Patienten geredet und gescherzt - da war eigentlich ständig jemand am Lachen, und ich habe es nicht ein einziges Mal erlebt, daß eine Schwester schlecht gelaunt oder überfordert wirkte. Gerade in der ersten Nacht, als jede(?) Stunde mein Blutdruck gemessen und die Reaktion meiner Augen getestet wurde, hatte ich das Gefühl, daß diese Mannschaft ihren Job nicht bloß ernst nimmt, sondern ihn als Berufung erlebt. Die Anteilnahme, die da zu Tage trat, hat mich wirklich schwer beeindruckt. Wenn man ernsthaft verletzt oder krank ist und Pflege braucht, kann ich mir keinen besseren Ort vorstellen, als das Krankenhaus in Most.

Eine Krankenschwester, die mehr als passabel Deutsch sprach und wohl deshalb häufiger mit mir zu tun hatte, war noch eine ganz besondere Zauberfee. Am dritten Tag zog sie mir die Kanüle aus der Vene, mit der ich anfangs mit dem Tropf verbunden war:
Ich: Ich dreh' mich mal weg - das kann ich mir nicht ansehen.
Sie (mit gespielt-ungläubigem Ton): Aber Sie sind doch ein Mann.
Ich: Naja - manchmal schon.
Helles Gekichere.

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