Most 2009 (1 - Intro)

(Kompletter Text)

Von der Chirurgie IV im Krankenhaus von Most kann man, sofern der Wind entsprechend steht, den Lärm vom Motodrom deutlich hören. Als ich am Samstag nach zwei Tagen zum ersten Mal wieder unter freiem Himmel stand – hinter mir aus gewisser Entfernung eben jenes permanente Hochbeschleunigen der Motoren; vor mir die böhmische Landschaft, am Horizont von Hügeln begrenzt, vor denen noch die Wolken bis tief hinab ins Tal hingen – hatte ich schon einen gewaltigen Kloß im Hals. Das hätte ganz anders ausgehen können.

Ich bin am dritten Tag auf der Rennstrecke in Most gleich im ersten Turn ziemlich heftig abgeflogen. Beim Versuch, einen Notausgang zu nehmen, bin ich im 3. Gang (bei ca. 120-140km/h) im Kiesbett gelandet. Das Motorrad hat sich überschlagen, und mich in hohem Bogen abgeworfen. Ich bin wohl als erstes mit dem Kopf mehrfach über den Boden gehoppelt, bevor ich mit dem Rücken einschlug - vermutlich habe ich zuvor in der Luft einen Salto gedreht. Danach blieb mir erst einmal komplett die Luft weg, bevor ich wenigstens den Arm heben konnte, um den Zuschauenden zu zeigen, daß ich noch bei Bewußtsein bin.

Das Resultat: schwere Gehirnerschütterung, gebrochene fünfte Rippe, Verdacht auf Bruch der rechten Mittelhand (der sich glücklicherweise nicht bestätigte - es blieb bei einer schweren Prellung). Am Moped ist der Rahmen verzogen, und die Vordergabel ein einziges Trümmerfeld - ich werde es wohl als Totalschaden abschreiben müssen, und allenfalls noch als Teilelager verwenden können.

Dabei hätte das komplett anders ausgehen können - ich habe ganz gewaltig Glück gehabt. Bei nur etwas anderer (keineswegs unbedingt höherer) Geschwindigkeit, mit etwas anderen Winkeln, hätte es gut passieren können, daß der Kopf nicht als Bremse wirkt (indem er - wie geschehen - über das Kiesbett schleift), sondern hart einschlägt, so daß der Nacken als Hebelpunkt für den restlichen Körper wirkt. In dem Fall wäre ein Nackenwirbel an- oder komplett gebrochen, mit möglicherweise tödlichen Folgen, mindestens aber unvermeidbarer Querschnittlähmung. Eine andere offene Frage ist, was geschehen wäre, wenn ich die Nerven gehabt hätte, in der (kurzen) Auflaufszone die Kupplung zu ziehen (ich habe - wahrscheinlich - nicht einmal die Bremse gelöst).

Allein die Tatsache, daß ich den Unfall (das war ein Unfall, kein Sturz, wie er alltäglich im Rennsport vorkommt) in allen Details erinnere, macht deutlich, was für ein unverschämtes Glück ich hatte. Normalerweise geht da die Lampe für mehrere Minuten komplett aus - man sieht schwarz, und zwar auch für die Sekunden vor dem Unfall. Je heftiger das Gehirn traumatisiert wurde, desto schwerer sind gewöhnlich auch die Gedächtnislücken. Mir ist hingegen jede Sekunde förmlich eingebrannt.