Urheberrecht und Arbeitsteilung

Wenn man über das Urheberrecht debattiert, kann man beim Begriff des „Wissens” aufsetzen, und zeigen, daß es es sich dabei um ein Universalgut handelt, das niemand besitzen kann. Man kann hier sehr theoretisch argumentieren, wie ich dies an anderer Stelle tue bzw. wie das bei den Keimformen seit längerem geschieht. Man kann aber auch sehr pragmatisch an die Sache herangehen, und es so sehen, wie das ein Lehrer tut:

Es gibt kein Wissen, das nicht angewendet wird. Als Lehrer gehört es zu meinen wichtigsten Arbeitszielen, dass andere mit "meinem" Wissen arbeiten.

(Lisa Rosa)

Es gibt noch einen anderen Aspekt, und den habe ich in der Debatte bislang noch nirgends gesehen, obwohl er eigentlich das zentrale Problem betrifft: wieso hat eine bestimmte Gruppe von Künstlern das Urheberrecht an einem Werk, während andere dieses nicht haben? Konkret: wieso ist ein Komponist Urheber eines Musikstücks, nicht aber ein Orchestermusiker?

Wenn man in der Geschichte zurückgeht und sich etwa ansieht, wie Mozart von seiner Musik gelebt hat, wird man sehen, daß Musiker sehr lange immer gleichzeitig Komponisten und Interpreten der eigenen Werke waren. Wenn sie zu einem Konzert verpflichtet wurden, war es vielfach üblich, daß dabei auch eigene und vor allem neue Werke zu spielen waren. Es gibt gerade über Mozart zahlreiche Geschichten, in denen vom immensen Zeitdruck erzählt wird, unter dem so manches seiner Werke entstand: oft mußten die Musiker von Blättern spielen, auf denen die Tinte noch nicht trocken war. Geld bekommen hat Mozart jedenfalls durch die Konzerte - die Werke (auch die Opern, in einer etwas anderen Form) waren gewissermaßen Nebenprodukte, wenn auch fester Bestandteil der Verträge.

Man könnte einwenden, daß Mozart heute wesentlich besser gestellt wäre, und sich auf das Komponieren hätte konzentrieren können. Tatsächlich hält sich ja sogar hartnäckig das Gerücht, er habe zeitlebens am Hungertuch genagt. Das ist aber definitiv Unsinn - er hat blendend von seiner Musik leben können, zumindest nach den Maßstäben seiner Zeit, und war ein berühmter, auch von den Zeitgenossen anerkannter Künstler.

Heute sieht das ganz anders aus: es gibt Musiker, die sich ausschließlich als Komponisten betätigen, und solche, die die Werke dann aufführen. Man hat es mit einer Arbeitsteilung zu tun, wie sie auch in der Wirtschaft zu finden ist. Es ist nicht mehr ein Einzelner, der alle Aspekte beherrscht, um ein Kunstwerk zu erstellen, sondern man braucht eine Gruppe von Experten, in der jeder nur einen bestimmten Teil dazu beiträgt. Im Bereich der Musik sind das Komponisten auf der einen und aufführende Musiker auf der anderen Seite, wobei mittlerweile selbst das Dirigat nicht mehr vom Komponisten übernommen wird, sondern einen weiteren Spezialisten erfordert (das war vor hundert Jahren noch ganz anders).

Besonders deutlich wird das im Bereich der Popmusik, weil hier das Entstehen der Musik im Studio eine wichtige Rolle spielt - in vielen Fällen ist die Kreativität und das Können der Toningenieure genauso wichtig für einen speziellen Sound, wie das der Musiker. Hier tritt die Rolle des Komponisten geradezu in den Hintergrund. Sehr schön kann man das am Beispiel von Michael Jackson sehen, der ja momentan allenthalben als ein Genie gefeiert wird, das er nicht einmal ansatzweise war. Gerüchte besagen, sein Beitrag zu den Kompositionen habe darin bestanden, Gesangslinien vorzusingen, um die Andere dann das Stück zu bauen hatten. „Thriller” ist ein Werk des Kreises um Quincy Jones, und daß Michael Jackson dort als Komponist an einigen Titeln die Urheberrechte hat, bezeugt nur die Absurdität der Konstruktion.

Diese Formen von Arbeitsteilung findet man aber auch in letztlich allen anderen Bereichen der Kunst, ganz besonders stark ausgeprägt beim Film. Wenn man sich den Abspann einer beliebigen Kinoproduktion anschaut, bekommt man ein ganz gutes Gefühl, was für ein großer, teilweise gigantischer Stab an Fachleuten aller möglichen Professionen daran beteiligt ist. Wer ist da noch der Urheber? Der Regisseur? Drehbuchschreiber? Autor der Originalvorlage? Wie ordnet man die Rolle der Filmkomponisten hier ein? Oder die der sog. Foley-Men, die die Geräuschkulisse eines Films nachträglich mit unglaublicher Phantasie in einer (nachträglich geschnittenen) Live-Performance improvisieren? Oder ist es doch der Produktionsleiter, der dafür sorgt, daß hier alles zusammengeht? Die Schauspieler habe ich noch gar nicht erwähnt.

Wenn es beim Film auch in der Praxis keinen Urheber mehr gibt, sondern letztlich nur noch die Verwertungsrechte der Finanziers, sieht das bei der Buchproduktion nur auf den ersten Blick anders aus. Hier gibt es zwar einen eindeutig benennbaren Autor - wenn es aber um ein Buch geht, das tatsächlich eine Rolle auf dem Buchmarkt spielen soll, braucht es wiederum zahlreiche Helfer. Das geht los bei den Lektoren, und endet nicht bei den Vertriebsleuten im Verlag - wenn man sich die Dankesreden in zahlreichen Bestsellern ansieht, bekommt man einen Eindruck, wie viele ganz unterschiedliche Inspirationsquellen an deren Entstehen beteiligt waren.

(2. Teil)