Das Mensch-Motorrad-System (6)

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Todesco:

Ich kann noch nicht so viel anfangen mit dem Ausdruck "Heizer", aber ich sehe schon eine Differenz zwischen Fahrern, die das Feeling haben und verwenden und solchen, die aufgrund ihres Wissens, also viel weniger nach Gespür fahren. Mit teuren 1000er und aufgeheitzten Slicks hat das aber nichts zu tun. Es gibt übrigens auch unter den MotoGP-Fahrern allenthalben grosse Unterschiede bei Regen und Trocken, ohne dass wir daraus etwas über die ALLGEMEINE Fahrerqualität ableiten.

Wenn man die Unterscheidung "Einbauteil” und „Ladegut" (etwas neutraler oder emotionsloser) macht, spricht man von zwei ganz verschiedenen Arten des Motorradfahrens, die man dann analytisch nicht vermischen sollte. Vielmehr sollten wir für beide Fahrertypen überlegen, was sie WIE tun.

Sagen wir Deine "Heizer" seien Ladegut. Was passiert in diesem Fall? Und sagen wir - was ich persönlich kenne - ein Einbauteil sei auf trockener Piste einfach nicht so schnell, um dem Ladegut zu folgen. Was ist dann?

Ich hatte schon Instruktoren, die von dieser Unterscheidung erzählten, und sich selbst zu den Einbauteilen zählten, aber einfach langsamer fuhren. Eine oft geäusserte Begründung war, dass "man" nicht zu viel riskieren sollte. Das ist genau auch das, was Heizer bei Regen sagen, oder?

Wir sollten das genauer anschauen. Dabei scheint mir die Sollwert-Frage ganz entscheidend (natürlich nur weil ich systemmtheoretisch schaue). Du hast geschrieben, dass das "persönliche Limit" theoretisch fruchtbar sei, weil es bestimmte Punkte zulasse, die sonst unter den Tisch fielen. Das sollten wir genauer anschauen. Meine Vermutung wäre vorderhand, dass das nur gelingt, wenn wir die Heizer nicht bewerten, sondern als Fahrertypus beobachten, die eben etwas bestimmtes tun (was wir genau beschreiben können).

Den Begriff des „Heizers” benutze ich ähnlich wie den des „Chopper-” oder „Tourenfahrers”, oder des „Schraubers”: das sind idealtypische Prototypen, und bezeichnen keine realen Personen. In der Wirklichkeit kommen die nie in Reinform vor - jeder reale Fahrer ist in irgendeiner Weise eine Mischform aus all diesen Typen. Dabei verwende ich die Begriffe nicht (nur), um den Fahrstil zu charakterisieren, sondern auch (in erster Linie), um einen sozialen Typus - oder eine bestimmte soziale Rolle - zu beschreiben. Insofern ist der Begriff des „Heizers” durchaus verbunden mit dem einteiligen Lederkombi mit Rennhöcker und der 1000er auf vorgeheizten Slicks - und aber eben auch mit einer notorischen Überschätzung der Bedeutung des Materials wie der eigenen fahrerischen Fähigkeiten. Lustigerweise habe ich Biker kennengelernt, die diesem Bild (oder dieser Karikatur) ganz erstaunlich entsprechen (und dem ich - mit meinem Vanson-Einteiler und meiner 600ter - ja selber sehr nahe komme).

Wenn mir der Heizer (ich belasse es der Einfachheit halber bei dem Begriff - es müßte jetzt etwas klarer sein, wie ich ihn verwende) bei trockener Strecke davonfährt, obwohl ich ihn bei der Regenfahrt stehen lasse, liegt das m.E. daran, daß mein persönliches Limit unter seinem liegt. Im Trockenen sind wir beide als „Ladegut” unterwegs - ich traue mich ganz einfach nicht an das physikalische Limit heran, sei es, weil ich Angst vor den Folgen eines Abflugs bei der im Vergleich zur Regenfahrt deutlich höheren Geschwindigkeit habe, sei es, weil der Regelbereich knapp unter dem Limit jetzt in einem bedeutend engeren Rahmen liegt. Demnach regele ich also an meinem persönlichem Limit. Im Regen kann ich mich aber (zumindest näherungsweise) in ein „Einbauteil” verwandeln und um das physikalische Limit regeln (was „der Heizer” nicht vermag). Hier kann man relativ grob regeln, und das Feedback ist sehr deutlich spürbar. Im Trockenen hingegen landet man im Bruchteil einer Sekunde im Kiesbett, wenn man die nur hauchzart wahrnehmbaren Zeichen zu spät deutet. Das wäre dann die angesprochene „Vorsicht” von erfahrenen Instruktoren, die um die Differenz zwischen dem physikalischen Limit und ihren eigenen Grenzen wissen.

Ein anderer Aspekt. Es gibt drei Situationen, in denen ein Motorradfahrer regeln muß: Einklappen in die Schräglage, Beschleunigen, und Bremsen. Am deutlichsten bekommt man Feedback, wenn man aus der Kurve heraus beschleunigt: das Hinterrad beginnt irgendwann zu rutschen, ohne daß es schon beim ersten Anzeichen gleich wegrutscht. Auch beim Bremsen kann man die physikalischen Grenzen vorab spüren: die Situation, daß das Vorderrad blockiert und ein Sturz unmittelbar bevorsteht, kann man durch blitzschnelles Reagieren in den Griff bekommen. Das ist allerdings außerordentlich schwierig, weil man ja möglicherweise auf letzter Rille bremst, und gar keine Luft mehr hat, um die Bremse noch zu lösen (ich kann ein Lied davon singen). Der letzte Fall - Einklappen in die Schräglage - geschieht m.E. ohne jede Möglichkeit, einen allzu heftigen Lenkimpuls nachträglich zu korrigieren. Das muß auf Anhieb sitzen, und dazu braucht es ein gutes Auge, und jede Menge Erfahrung (auch da habe ich negative Erfahrungen beizusteuern). Spätestens an dieser Stelle ist der „Heizer” dem „Instruktor” gelegentlich überlegen: er ist schneller, weil er von seinem „Mut” profitiert.