2.7.2009

Zur Adaption von außereuropäischer Musik

In der Geschichte der abendländischen Musik hat es immer wieder Versuche gegeben, die Musik anderer Kulturen zu adaptieren und mit der eigenen zu verschmelzen. Ich denke hier an die „türkischen” Anklänge seit Mozart über die gesamte Romantik, oder an die Annäherungen an osteuropäische Musik durch Komponisten wie Antonín Dvořák und Béla Bartók. Dabei blieb die Übernahme fremder Elemente aber meistens ganz auf der Oberfläche - man übernahm lediglich einige plakative Effekte, ohne wirkliche Einflüsse auf struktureller Ebene zuzulassen. Ein türkischer Marsch etwa hat (z.B. bei Brahms) i.d.R. eine etwas eigenwillige Rhythmik, wobei das aber stets im 3/4 oder 4/4-Taktmaß geschieht, dort aber nie die in türkischer Musik oft vorkommenden unregelmäßigen Metren (7/8, 11/8) übernommen wird.

Ganz anders sieht das aus in der für das letzte Jahrhundert prägenden Musikform, dem Jazz. Hier fand eine tatsächliche Mischung zwischen der Musik zweier Kulturen statt, als die Afroamerikaner damit begannen, ihre Vorstellung von Melodik und Rhythmik im Spiel auf europäischen Instrumenten zu verwirklichen. Das ist keine afrikanische Musik mehr, da gibt es allenfalls noch lose Wurzeln. Zum einen wird das überformt durch die Praxis des Gesangs in der Kirche, die in den Gospel führt. Zum zweiten ist es die Beschäftigung mit den Blechblasinstrumenten der Europäer, mit denen sich die afrikanischen Skalen gar nicht umsetzen lassen, weil sie für die zwölf Töne der abendländischen Musik gebaut sind. Zum dritten gibt es die direkte Begegnung zwischen weißen und schwarzen Musikern, die zu einer Verschmelzung immer mehr in Richtung „weißer Musik” führt.

Tatsächlich kann man die Geschichte des Jazz als ständig wiederholten Versuch der weißen Amerikaner (später, seit den 70ern, auch der Europäer) schreiben, die afroamerikanischen Wurzeln gewissermaßen zu enteignen, und zum Ausgangspunkt einer verflachten, gleichwohl kommerziell erfolgreicheren Variante zu machen. Das geht wohl schon los in New Orleans Anfang des 20.Jh., als die schwarzen Bands häufig mit weißer Konkurrenz zu kämpfen hatten. Sehr deutlich wird das in der Ära des Swing, als nicht etwa die künstlerisch herausragenden Bands von Duke Ellington und Count Basie kommerzielle Erfolge feierten, sondern weiße Orchester, namentlich die von Bennie Goodman und Glenn Miller. Aber auch danach geht das so weiter: der (schwarze) Blues wird zum (weißen) Rock'n Roll, Jazzrock von Miles Davis wird nie so erfolgreich wie die weitaus flacheren Varianten von „Weather Report” oder „Blood, Sweat & Tears”, der Motown-Sound wird zu Disco, usf.

Selbst dort, wo die Verschmelzung einer außereuropäischen Musik mit jener des Abendlandes gelang, wo also tatsächlich fremde Strukturelemente fruchtbar werden konnten, und nicht bloß einige Farbtupfer von außen kamen, - selbst dort hat immer wieder das europäische Erbe Dominanz beansprucht. Wesentlich krasser sieht es aus, wenn man all die Versuche betrachtet, im Jazz, Rock und Pop seit den ausgehenden 60er Jahren außereuropäische Musik anzudocken, indische zumal. Hier beibt es immer nur dabei, der eigenen (europäischen, zumeist weißen) Musik etwas hinzuzufügen. Man gibt nichts, und man lernt auch nichts - man greift sich das, was man brauchbar findet, und schert sich nicht um den Rest. Ob das die Beatles sind, die in ihrer indischen Phase plötzlich ihre Gitarrenlinien auf der Sitar spielen; oder ob es sich um all jene Jazzformationen handelt, die mit Ravi Shankar auftreten; oder ob Collin Walcott Sitar und Tablas lernt - es läuft immer auf westliche Musik mit einem indischen Farbtupfer hinaus. Die Tradition der indischen Musik mit ihrem unglaublich komplexen Spektrum an Rhythmen und Skalen bleibt außen vor - man kann sich ein Bild davon machen, wenn man eine jener seltenen Veranstaltungen besucht, bei denen indische Musiker ihre traditionelle Musik vortragen.

Aber gut - dieser Text spitzt die Realität natürlich übertrieben zu. Schon bei Bartók muß man genauer hinschauen - da wird die osteuropäische Tradition keineswegs oberflächlich ausgebeutet, sondern überaus vielschichtig für eigenen Kompositionen fruchtbar gemacht (wenn Bartók sich als Musikwissenschaftler nicht sogar ganz damit bescheidet, Volksmusik nur zu dokumentieren). Auch im Jazzbereich gibt es durchaus ernst zu nehmende Versuche - einige davon dann eben doch unter Anteilnahme des oben schon erwähnten Ravi Shankar. Das bleiben jedoch eher die Ausnahmen - und das liegt einfach daran, daß nicht-europäische Musik für Europäer außerordentlich schwer zu spielen ist.

Ich kann selbst ein Lied davon singen: relativ zu Beginn meiner aktiven Zeit hatte ich eine Einladung, mit einem türkischen Saz-Spieler eine Band zu starten. Nach relativ kurzer Zeit haben wir den Versuch abgebrochen (naja: er hat mich gefeuert): ich habe es einfach nicht hinbekommen, die aberwitzig schnellen Grooves in krummen Taktarten umzusetzen. Das war dann eine offene Herausforderung, die mich über mehrere Jahre nicht losließ, und ich habe es später immerhin gelernt, mich wirklich frei in 5/8- und 7/8-Metren zu bewegen. Damit wäre ich in dieser Band immer noch nicht funktionsfähig gewesen, weil dort auch 11/8- und sogar 13/8- Metren zu bewältigen waren - und zwar in wildem Wechsel querbeet im selben Stück.

Nachtrag: Ein schönes schlechtes Beispiel.

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