3.5.2009

Ein vergessener Völkermord - Kongo, 1890-1908

Die zunehmende Beliebtheit des Gummireifens führte dazu, daß sein Erfinder, ein gewisser John Dunlop, im Jahre 1890 seinen Beruf als Tierarzt aufgab, und sich ganz der industriellen Fertigung von Reifen widmete. Indirekt bewirkte dies den größten Völkermord in der Menschheitsgeschichte, der allerdings weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht ist.[1]

Kautschuk ist ein Naturprodukt, und seinerzeit konnte man das nur aus Afrika importieren. Dabei besaß der belgische König Leopold II. als Eigentümer eines Teils des Kongo (der freilich immer noch so groß wie ganz Europa war) ein Quasi-Monopol. Um seinen Besitz mit größtmöglicher Effizienz auszupressen, ließ er die Einheimischen für sich arbeiten, und zwar nicht, indem er dafür bezahlte, sondern indem er sie mit brutalster Härte versklavte. Da man Arbeiter, die in die Kautschukbäume klettern müssen, um den begehrten Rohstoff zu ernten, nicht anketten kann, nahm man ihre Familien als Geiseln. Wenn am Ende des Tages, nach Meinung der Besitzer jener Sklaven, nicht genug Kautschuk zusammen kam, gab es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, das den Arbeitern klar zu machen. Eine beliebte Methode war natürlich die Peitsche: 100 Schläge mit der Peitsche aus gewundenem Nilpferdleder, nach denen die Gefolterten nicht selten nie wieder aufstanden. Üblich war aber auch, sich an den als Geiseln festgehaltenen Frauen und Kindern zu vergehen: die Frauen konnte man vergewaltigen, den Kindern Füße und Hände abhacken (es gibt Fotos, die letztere Praxis belegen). Man konnte aber auch das ganze Dorf inklusive sämtlicher Einwohner einfach abfackeln - man war sehr erfinderisch, wenn es darum ging, zu töten, ohne teure Munition zu verschwenden.

Edmund Morel
Edmund Morel

Roger Casement
Roger Casement

Wahrscheinlich wäre all dies nie an den Tag gekommen, wenn es sich nicht zwei Männer zur Lebensaufgabe gemacht hätten, die Weltöffentlichkeit über die Verhältnisse im fernen Afrika aufzuklären: Edmund Morel und Roger Casement.

Morel war ein kleiner Angestellter einer Reederei, die u.a. Waren an den Kongo auf den Weg brachte, angeblich Handelsgüter. Durch einen Zwischenfall mißtrauisch geworden, überprüfte er die Frachtlisten der Schiffe, und fand zu seinem Entsetzen, daß hier nichts auf friedlichen Handel hindeutete: die Ladung bestand fast ausschließlich aus Munition und Waffen.

Morel kündigte seine Stellung und begann, Fakten zu sammeln und diese in die Öffentlichkeit zu tragen. Seine Bemühungen hatten durchaus Erfolg - er galt nach kurzer Zeit als moralische Instanz, auf dessen Recherchen über den Kongo man sich verlassen konnte. Seine Artikel erschienen weltweit in den Zeitungen, und er konnte genug Spenden sammeln, um mit seiner Mission fortzufahren. Schließlich konnten sich auch offizielle Stellen der Sache nicht verschließen, und die Britische Krone entsandte Roger Casement, einen erfahrenen Diplomaten und Afrika-Spezialisten, um sich vor Ort mit eigenen Augen ein Bild zu machen.

Casement kam mit einem langen Bericht zurück, in dem er - in einem scheinbar unberührten, objektiven Ton - über zahllose und kleinste Details berichtete, aus denen sich das Bild einer Barbarei unverstellbaren Ausmaßes ablesen ließ. Als dieser Bericht offiziell über das Parlament an die Öffentlichkeit gelangte, nahm Morels Kampagne (von Casement unterstützt - die beiden Männer wurden Freunde) erst richtig Fahrt auf. Trotzdem dauerte es noch vier lange Jahre, bis das Morden ein Ende hatte, in denen ein Medienkrieg in einem bisher nicht gekannten Ausmaß geführt wurde. König Leopold versuchte alles, um die öffentliche Meinung in seinem Sinn zu beeinflussen, und kaufte immer wieder Stimmen, um ein positives Bild der Verhältnisse zu zeichnen. Die staatlichen Institutionen waren weltweit wenig bemüht einzuschreiten, hatten doch sämtliche Regierungen selber Dreck am Stecken, wenn es um ihre jeweiligen Kolonien ging. Zum Schluß mußte Leopold aber doch klein beigeben, und seinen Besitz an den belgischen Staat verkaufen.

Der Genozid zog sich über fast zwanzig Jahre (1890-1908) hin, und kostete geschätzten 10 Mio. Menschen das Leben - das ist eine größere Zahl als die von sämtlichen Toten des Ersten Weltkriegs.

  1. [1] Nach: Philipp Blom, Der taumelnde Kontinent - Europa 1900-1915. München 2008. - Ich werde über das Buch noch berichten, wenn ich es fertig gelesen habe.

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