23.4.2009

Ist Musik Kommunikation?

Ich bin noch dabei, Anlauf auf die geplante Luhmann-Lektüre zu nehmen, und lese die Einführung von Margot Berghaus (Luhmann leicht gemacht, Köln 2004). Die erste Hälfte habe ich ohne Unfall geschafft, und ich muß der Frau Professor ein großes Lob aussprechen: das liest sich wirklich flüssig, wirkt aber an keiner Stelle wie der Versuch, einem Idioten die Materie in verdünnter Form einzuflößen. Da steckt offenbar ein profundes Fachwissen dahinter - zu jedem vorgestellten Element aus der Systemtheorie gibt es eine ganze Liste von Zitaten, die quer aus dem ja wahrlich nicht gerade schmalen Lebenswerk Luhmanns zusammengesammelt sind. Dazu kommen zahlreiche Illustrationen und Zeichnungen (offenbar großenteils aus der Feder der Autorin selbst), die an vielen Stellen einen bestimmten Zusammenhang schlagartig plausibel machen. Ich habe jedenfalls die ganze Strecke das Gefühl, von einer überaus wohlwollenden und bemühten Lehrerin angeleitet zu werden - Chapeau! Solche Lehrbücher findet man selten. [1]

Ich habe aber bereits eine Reihe von Fragen, von denen ich weiß, daß sie von Luhmann nicht beantwortet werden, obwohl man mit der von ihm geschaffenen Begrifflichkeit wahrscheinlich weiterkommen würde.

  • Ist Musik Kommunikation?

    Sicherlich nicht. Luhmanns Kommunikationsbegriff geht einen anderen Weg. Kommunikation ist nicht mit dem Medium direkt verknüpft, sie „ist” nicht Sprache (und erst recht keine Musik), sondern Sprache ist eines von mehreren Medien, durch die Kommunikation geschieht.
  • Ist Musik ein Medium, mittels dessen man kommuniziert?

    Luhmann (zitiert nach Berghaus, S.125):

    Sprache ist ein Medium, das sich durch Zeichengebrauch auszeichnet. Sie benutzt akustische bzw. optische Zeichen für Sinn.
    Damit wäre diese Frage auf eine Antwort nach dem Sinn verschoben, welches von Musik vertreten wird. Sprache verweist auf die äußere Welt - zu klären wäre, ob ähnliches auch für Musik gilt (ich habe an anderer Stelle da ja bereits Zweifel angemeldet).

  • Bildet ein Streichquartett ein soziales System?

    Das hängt, im Sinne Luhmanns, davon ab, ob es sich durch Kommunikation definieren läßt (ja, ich weiß, die Argumentation wirkt reichlich wie ein Zirkelschluß, ist es aber nicht). Jedes System definiert sich durch das, was es tut, durch seine Operationen, und jedes System hat genau eine Art von Operation, mit denen es eine Differenz zwischen sich selbst und der es umgebenden Umwelt erzeugt. Im Falle von sozialen Systemen heißt dieses Tun: Kommunikation. Insofern müßte man eine andere Frage beantworten:

  • Kommuniziert ein musikalisches Ensemble im gemeinsamen Spiel?

    Kommunikation ist ein dreistufiger Prozeß, der sich rekursiv selbst erhält („rekursiv” ist schon mal ein gutes Wort - das hatte ich im Zusammenhang dieses Themas bereits in den Mund genommen). Der „Alter” stößt die Kommunikation an, indem er 1) Informationen auswählt, und sie 2) mitteilt. Das „Ego” nimmt sie entgegen, indem es 3) sie versteht. Kommunikation beruht darauf, daß beide Seiten (Sender wie Empfänger) von der Differenz zwischen Information und Mitteilung wissen. Eine Mitteilung kann mißverstanden, für unvollständig oder eine Lüge gehalten werden - sie ist jedenfalls nicht die Information selbst. Dadurch wird weitere Kommunikation in Gang gesetzt - sie erzeugt rekursiven Anschluß an sich selber (wenn ich das arg verkürzt mal so stehen lassen darf).

    Die Frage wäre also, ob man diese Dreistufigkeit auch in der musikalischen Praxis wiederfindet. Der Schlüssel wäre die Frage, ob es auch hier eine Differenz zwischen Information und Mitteilung gibt.

Falls man es irgendwo krachen hört: bitte nicht erschrecken, es handelt sich dabei dann sicherlich um eine meiner Argumentationen, die unerbitterlich hinter mir in sich zusammen fällt - ich befinde mich hier auf einer Baustelle, auf der die Sicherheitsvorkehrungen arg zu wünschen lassen.

  1. [1] Ich stolpere gerade über die Homepage von Margot Berghaus - sehr abgefahren, und unbedingt einen Klick wert. Die Illustrationen im Luhmann-Buch sind definitiv von ihr, auch wenn man das nur indirekt schließen kann (dort fehlt - anders als bei einigen anderen - der Quellennachweis).
(Kommentarfunktion z.Zt. deaktiviert.)