19.4.2009

Traum, Ritual, Opfer

Christoph Türcke unternimmt in seinem Buch „Philosophie des Traums” den Versuch, den Traum als Vorform des Denkens zu interpretieren:

»Primitive Denktätigkeit« ist Siegmund Freuds Definition des Traums. [...] Wer begreifen will, was Denken ist, muß zu begreifen versuchen, was Träumen ist. Nirgends zeigt sich menschliches Denken in so primitiver Verfassung wie im Traum, selbst noch im 21.Jahrhundert.

Türcke knüpft bei der Terminologie der Traumdeutung Freuds an und führt sie in eine neue Richtung, indem er nicht über die Psyche des Träumenden, sondern die Frühzeit der menschlichen Gattung spekuliert.

Wenn das Denken seinen Ursprung in den Träumen hat, dann gilt dies auch für die ersten Handlungen, die konstituierend für menschliche Gesellschaft sind. Anhand der Freudschen Darstellung bei der Entstehung von Angstträumen, die erklären sollen, warum auch sie letztlich dem Lustprinzip folgen, indem sie zur Triebabfuhr bei erlittenen Traumata dienen, kann Türcke die Entstehung von Ritualen aus dem Opferritual erklären:

Opfer gehen an die Substanz. Man schlachtet nicht Frösche und Schnecken, sondern das Teuerste, was man hat: Menschen, später auch Großtiere. So etwas tut man nicht aus Spaß, sondern nur, wenn man sich nicht anders zu helfen weiß. Offenkundig sucht man sich damit Entlastung zu verschaffen. Nur was ist am Opfer entlastend? Es wiederholt doch nur Grauen und Leiden, es tut dasjenige, wovon es entlasten will. Das ist absurd. Das Opfer läßt sich überhaupt nicht verstehen, wenn nicht vom traumatischen Wiederholungszwang aus. Es ist der in eine Form gebrachte Wiederholungszwang. Um den Naturschrecken loszuwerden, von dem sie befallen wurde, befällt sich die Hominidenhorde noch einmal selbst. [...] So spielt sie den Naturschrecken herunter, indem sie ihn selbst veranstaltet, einübt, in eigene Regie nimmt und ihm dabei jene festen Regeln gibt, die wir rituell nennen. [...] Ritual und Opferritual sind anfangs identisch. Alle Rituale sind Abkömmlinge des Opferrituals.

(Christoph Türcke: Philosophie des Traums, München 2008, S.62 - Hervorhebung von mir)

Dieser Ansatz erscheint mir weitaus ergiebiger als alles, was Peter Watson zu dem Thema zu sagen hat (ich hatte dessen Position bereits zusammen gefaßt).

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