Körperwissen (9)
Alle Beispiele, die ich bisher zu der Wechselwirkung von Körper und Geist gegeben hatte (Motorrad fahren, ein Instrument spielen, Computer programmieren) haben gemeinsam, daß sie jeweils auf Evidenzerfahrungen basieren, die nicht rational gesteuert werden, obwohl ihre Grundlagen zuvor (idR. bewußt) eingeübt werden mußten. Ähnliches läßt sich von einem Gebiet sagen, das eine Grundlage des menschlichen Daseins betrifft, der Sprache.
Wenn ich spreche, denke ich nicht über Syntax oder Semantik nach, geschweige denn über die Folgen aus Vokalen und Konsonanten, die die Silben bilden, aus denen sich wiederum einzelne Wörter zusammen setzen. Ich bewege mich dann vielmehr auf einer Ebene, die von den die Sprache konstituierenden Elementen denkbar weit entfernt ist: ich drücke aus, was ich denke. Sprache ist das Mittel, mit dem sich das menschliches Denken, damit auch das Bewußtsein vom eigenen Ich ausdrücken läßt – Kategorien also, die nach allgemeiner Übereinkunft zur Basis dessen zählen, was das Menschsein ausmacht.
Sprache und Denken sind zwei Seiten derselben Medaille. Dabei hat Sprache aber eine klar definierte Funktion, nämlich die Fähigkeit der Kommunikation mit Anderen. Menschen sind nur in einer Gruppe überlebensfähig. Einsiedler sind eine extreme Ausnahme. Die Sippe ist - mit großer Wahrscheinlichkeit - die Urform gesellschaftlicher Organisiertheit, die selbst heute noch eine – wie auch immer transformierte – Rolle spielt. Sprache ist damit ein Faktor, der ganz erheblich die Überlebenschancen der Gattung erhöht, nicht weniger als alle Formen des Gebrauchs von Werkzeug. Werkzeuggebrauch, planendes Handeln, Kommunikation durch Sprache – diese drei Fähigkeiten gelten als entscheidende Unterschiede, die die Menschheit von der Tierwelt absetzt. All diese Kategorien haben ihren gemeinsamen Nenner in der Fähigkeit des Denkens, im Umgang mit Abstraktionen.
Wenn man sich ansieht, wie der Spracherwerb von Kindern vonstatten geht, findet man eine starke Analogie zu all jenen Lernprozessen, die auf anderen Gebieten ablaufen. Ein Neugeborenes kann theoretisch alle Sprachen der Welt lernen – im Gebrabbel eines Babys finden sich sämliche Laute aller weltweit gesprochenen Sprachen. In einem komplexen, noch längst nicht verstandenen Prozeß werden nach und nach all jene Laute aussortiert, die von den Bezugspersonen nicht verwendet werden, und irgendwann kommen die ersten einsilbigen Worte, die einen für Andere faßbaren Sinn ergeben.
Es findet letztlich das statt, was bei jedem Prozeß geschieht, in dem eine Fähigkeit eingeübt wird - es gibt eine Wechselwirkung zwischen eigener Praxis und Rückkopplung durch den Gegenstand der Übung. Das Motorrad fährt in immer höherer Schräglage, die Läufe auf dem Instrument gelingen immer schneller, und aus den Reaktionen der Umwelt erfährt das Kleinkind, welche Silben und Wortkombinationen verstanden wurden und Sinn ergeben. Im ersten Fall ist das Resultat die Beherrschung der Maschine durch eine immer besser trainierte Feinmotorik, im letzteren eine ständig verbesserte Fähigkeit in der Mitteilung eigener Bedürfnisse und Wünsche durch ein immer besser funktionierendes Denken.
Wer begreifen will, was Denken ist, muß zu begreifen versuchen, was Träumen ist. Nirgends zeigt sich menschliches Denken in so primitiver Verfassung wie im Traum, selbst noch im 21.Jahrhundert.
(Christoph Türcke, Philosophie des Traums, München 2008)
Türcke verweist – ohne auf seine Argumente an dieser Stelle näher einzugehen - auf die physische Grundlage allen Denkens, und versucht, unter Rekurs auf Siegmund Freud, die Fundamente alles Geistigen zurückzuführen auf den Kampf der Menschen ums Überleben in einer feindlichen Natur. Meine Überlegungen gehen insofern in eine ähnliche Richtung, als ich die Trennung von Körper und Geist für ein Konzept halte, das viel zu kurz greift. Die sinnliche Erfahrung der Umwelt sowie Rückkopplungsprozesse zwischen dieser und dem Körper sind dafür verantwortlich, daß sich Sprache - und damit Denken - entwickeln kann.
[Ich muß mich zunächst vertagen.]