9.4.2009

Improvisation in der Musik (13) - Zuhören

(Themenanfang)

Im Grunde muß man mit den angedeuteten Konzepten praktisch arbeiten, um Sinn oder Unsinn beurteilen zu können. Man muß dabei nach und nach, über mehrere Jahre, ein Ohr entwickeln für das, was gut klingt bzw. was man lieber unterlassen sollte - man muß buchstäblich hören lernen.

Das geht los damit, daß jeder Musiker, der etwas auf sich hält, eine umfangreiche Sammlung von Musik besitzt, die er aber - anders als der Sammler von MP3-Files, der Gigabytes aus dem Netz gesaugt und allenfalls einen Bruchteil seiner Schätze auch nur einmal angehört hat - buchstäblich auswendig kennt. Wenn ich eine CD in die Hände bekomme, die mich interessiert, höre ich sie teilweise dutzende Male - und zwar nicht verteilt über einen langen Zeitraum immer mal wieder, sondern innerhalb weniger Wochen solange, bis ich kapiert habe, worauf mein Interesse basiert.

Zum anderen muß man lernen, sich selber zuzuhören. Das ist weit schwieriger, als man sich das gemeinhin vorstellt, weil es - wenn man die Forderung wirklich ernst nimmt - darauf hinausläuft, daß man auch den anderen Instrumenten in der Band zuhört. Ich nehme mein eigenes Spiel schließlich nur dann richtig wahr, wenn ich z.B. erkenne, in welchem tonalen Bezug ich mich gerade zum Piano befinde bzw, wie meine rhythmische Bewegungen in Relation zu jener des Schlagzeugs stehen - dazu muß ich natürlich Piano und Schlagzeug wahrnehmen, und das ist - so verrückt das klingt - richtig, richtig schwer.

Es fängt schon damit an, daß man, wenn man die täglichen technischen Übungen abspult, seine Ohren nicht einfach im Regal mit dem überflüssigen Zubehör ablegt. Es ist zwar anstrengend, sich dieselbe Figur wieder und wieder anzuhören, es lohnt aber, der Verführung zu widerstehen, abzuschalten und die Finger mechanisch laufen zu lassen. Man muß sich klar machen, daß man, wenn man übt, alles übt, und zwar auch die Fehler. Wenn man bspw. Läufe zu rasch angeht und sich immer wieder verhaspelt, ist die Chance groß, daß man diese Verhaspler später nie mehr los wird. Gleiches gilt für die Gewohnheit des Weghörens: wer einmal damit beginnt, seinem eigenen Spiel nicht mehr hoch konzentriert zuzuhören, wird dies auch später immer wieder tun.

Es geht dann aber um die Wahrnehmung der Mitmusiker. Ich habe es dutzendfach erlebt, daß bei Jamsessions - aber auch auf regulären Konzerten, für die man viel Eintritt bezahlen mußte bzw. für die ich eine Gage bezahlt bekam - die Leute auf engstem Raum auf der Bühne beieinander standen, und letztlich miteinander nichts zu tun hatten. Das ging soweit, daß man über mehrere Choruse umgestiegen war (d.h., man hatte keinen gemeinsamen Taktanfang mehr), ohne daß auch nur der Versuch unternommen wurde, wieder zueinander zu finden. Die absolute Regel ist zumindest, daß der Schlagzeuger hin und wieder einen Break einwirft, der Bassist seinen „Walkin'” abspult, und ein Solo aufs nächste folgt, ohne daß die Rhythmusgruppe auch nur in Nuancen darauf reagiert und ihre Begleitung variiert - täte sie dies, würden sich die Solisten das übrigens eh verbitten.

(Zu dem Thema wird noch einiges zu sagen sein, zumal es die Fälle, wo wirklich spürbar wird, daß die Bandmitglieder aufeinander reagieren, natürlich ebenfalls gibt. Ich vertage das auf einen Zeitpunkt nach einer Darstellung der Ebene der Rhythmik.)

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