Notiz - „Open Source” vs. „Free Software”
Es ist schon interessant, wie die Debatte über die Deutungshoheit der Begriffe „Open Source” und „Free Software” immer wieder neu entflammt. Das Blog „Volokh Conspiracy” dokumentiert eine E-Mail von Robert Stallmann, in der dieser das Blog dazu auffordert, den dort an einer bestimmten Stelle im Zusammenhang mit seinem Namen verwendeten Begriff „Open Source” durch „Free Software” zu ersetzen. Darauf folgt eine ausführliche Debatte in den Kommentaren, in der sich ein erstaunliches Maß an Erregtheit findet, welchen Sinn es mache, in haarspalterischer Weise zwei synonyme Begriffe künstlich auseinander zu halten.
Eric S. Raymond, als Vorreiter von „Open Source”, ist immerhin klug genug, die begriffliche Unterscheidung anzuerkennen. Dabei insistiert aber auch er darauf, daß „Free Software” letztlich nur eine Unterkategorie von „Open Source” sei, weil auch sie auf der Offenlegung des Quellcodes basiere, und die andere Seite letztlich nur ein wenig intellektuelle Befindlichkeitslyric oben drauf packe. In der Praxis spiele der Unterschied letztlich keine Rolle, was man schon allein daran erkennen könne, daß beide Lager regelmäßig und ohne Konflikte gemeinsam an konkreten Projekten arbeiten.
Mir ist letztlich klar, warum ESR die Position von RMS gar nicht verstehen kann. RMS erklärt sie sehr ausführlich - in meinen Augen schon reichlich redundant, aber letztlich unmißverständlich. Freiheit im Sinne von „Freibier” ist etwas grundlegend anderes als „Freiheit der Rede”. Wo „Open Source” diese Unterscheidung letztlich komplett egal ist, bedeutet sie für RMS die alles entscheidende Differenz: ein Hacker, für den Software auf keinen Fall dem Verwertungszusammenhang des Kapitals unterworfen werden darf (wenn ich marxistische Terminologie - wohl sehr zum Mißfallen von RMS - in den Mund nehmen darf), tickt völlig anders als einer, dem die Offenlegung des Quellcodes letztlich nur als Grundlage für das bessere, überlegene Geschäftsmodell dient. Für RMS ist der Widerstand gegen Patente auf Software ein fundamentales Anliegen im Kampf für Freiheit der Rede; für ESR dient er lediglich dazu, ein ärgerliches Hindernis für die Praxis der Softwareentwicklung aus dem Weg zu räumen.
Ich gebe ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis: Steinberg benutzt seit kurzem Teile von „Boost”, einer Sammlung von C++-Libraries, die Quellcode-offen und „frei” sind - „frei” im Sinne von „Freibier”. Wir dürfen diesen Code in einem nur gegen gutes Geld erhältlichen Programm verwenden, das zudem kopiergeschützt und nur in binärer Form ausgeliefert wird, und dessen Quellcode ein Geschäftsgeheimnis darstellt. Stünde „Boost” unter GPL, wären die Libraries ausschließlich für Programme verfügbar, die ihrerseits ihren Quellcode offen legen - mit erheblichen Auswirkungen für die Hersteller proprietärer Software. Nicht nur für Steinberg wäre die Option verschlossen, von aberhundert kostenlosen Mannjahren zu profitieren. Das beträfe u.a. auch Adobe und Google - und alle andere, die „Boost” benutzen.
Vielleicht fehlt nur noch ein Gefühl für die Unterschiede zwischen den Lagern: die Lizenz für Boost umfaßt wenige Zeilen, jene für GPL - ausgedruckt - mehrere gut gefüllte Seiten. - Bekanntlich ist das „laissez faire” gerade auch an anderer Stelle gründlich gescheitert.