Improvisation in der Musik (7)
Hier sind die ersten vier Takte aus „All the Things You Are”, wobei die roten bzw. blauen Noten jeweils in „Guidelines” durch die Akkorde führen. Sie bestehen aus Terzen bzw. Septen, jenen Intervallen also, die den Akkorden ihre „Farbe” geben. Tatsächlich hat man, wenn man die beiden Guidelines gleichzeitig und mit dem dazugehörigen Grundton auf dem Klavier spielt, bereits eine rudimentäre Klavierbegleitung für die Akkorde - man kann so klar die Grundstruktur der Funktionsharmonik hörend nachvollziehen.
Das ist übrigens ein grundsätzlicher „Trick”, mit dem man sich Akkorde verständlich machen kann, selbst ohne großartig Klavier spielen zu können - Grundton plus Terz plus Septe, wobei man die beiden letzteren so dicht wie möglich in jene des nächsten Akkords überführt (die Septe liegt dann öfters unter der Terz).
Eine Möglichkeit, eine Guideline in eine Melodie zu verwandeln, könnte z.B. so aussehen wie im Notenbild nebenan - die blauen Noten sind die ursprüngliche Guideline, die restlichen umspielen sie mit leitereigenem bzw. chromatischem Material. Man muß sich um die eigentlich zugrunde liegenden Skalen nicht kümmern - sich selber zuzuhören reicht völlig, und es ist kaum möglich, versehentlich wirklich falsch klingende Töne zu spielen, so lange man dicht genug an der Guideline bleibt.[1]
Soweit ist das noch eher harmlos, und erinnert mehr an Swing als an moderne Stilistiken. Mit einer Guideline wie rechts dargestellt ändert sich das bereits. Hier kommen Tensions (Spannungstöne) ins Spiel, die schon eher an Hard- oder Bebop denken lassen. Dabei kann man aber ebenso Durchgangs- oder Wechselnoten verwenden, wie im Beispiel oben - man kann also gewissermaßen Kinderlieder spielen, die sich in hoher Spannung zu den Akkorden befinden.
Damit ist es natürlich nicht getan. Manchmal will man sich mit fließenden Achteln oder mit schnellen Läufen in Double-Time (auf der Sechzehntel-Ebene) bewegen und es eben nicht bei einem engen Tonraum bewenden lassen. Trotzdem ist das Denken in gemeinsamen oder eng beieinander liegenden Noten quer durch die Changes die Grundlage auch für virtuosere Spielweisen. Auch hier wird man nämlich die Übergänge zwischen den Akkorden mit Guidelines gestalten, selbst wenn man innerhalb eines Akkords große Sprünge macht.
- [1] Selbst wenn man das »F« im ersten Takt durch ein »E« ersetzt, würde das akzeptabel klingen, und zwar auch dann, wenn man die Linie so ändert, daß das »E« explizit betont wird und auch länger klingt als das »F« im Beispiel. Das wäre die große Septe in einem Mollakkord mit kleiner Sept - laut Skalentheorie ist das ausgerechnet jener Ton, der nun überhaupt nicht geht.