Improvisation in der Musik (3)

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Die Begriffe „Jazz” und „Improvisation” werden gelegentlich nahezu synonym verwendet. Dabei gibt es auch im Jazz immer Einschränkungen für die Freiheiten der Musiker – und zwar sowohl, was das Material angeht, mit dem improvisiert werden kann, als auch im Grad, in dem die Mitglieder eines Ensembles in der Ausgestaltung ihrer Rolle „frei” sind.

Auf den ersten Punkt komme ich später zu sprechen; für den zweiten gibt es wiederum zwei verschiedene Aspekt. Zum einen gibt es fast immer zumindest einen auskomponierten Kern – ein Thema, eine ständig wiederholte Akkordfolge, oder Riffs und Einwürfe während eines Solos. Zum anderen gibt es Unterschiede im Verständnis der Rolle der Begleitung: in manchen Stilen wird auch hier improvisiert, während sie in anderen auf bestimmte Patterns und Figuren mehr oder weniger festgelegt ist.

Vergleichsweise gering ist die Freiheit selbst für einen Solisten in der Bigband, und zwar unabhängig vom Stil. Hier überwiegen nicht nur komplett auskomponierte Passagen, sondern auch in den Soli gibt es einen klar fixierten Rahmen, der z.B. deren Länge festlegt und mit eingeschobenen „Riffs” und „Compings” die Möglichkeiten ihrer freien Gestaltung noch weiter einschränkt.

In den kleinen Besetzungen bewegen sich die Solisten idR wesentlich freier – der Mißmut der Musiker in den Orchestern des späten Swing gegen den überaus starren Rahmen führte dazu, die großen Besetzungen zu verlassen, und in den Jam–Sessions der Nachkriegszeit Saxophon und Trompete Freiräume zu verschaffen, in der zumindest die Länge des Solos vorher nicht mehr festgelegt sind. Auch im Bebop der späten 40er und 50er Jahre ist es jedoch üblich, daß über einen weitgehend starren Background improvisiert wird. Es gibt zwar eine Reihe von neuen Möglichkeiten für den Drummer, wobei seine Grooves aber im großen und ganzen weiterhin auf einer konstanten Figur von Becken und HiHat basieren. Der Bassist liefert einen konstanten Teppich aus Viertel–Noten, und das Piano markiert die Akkorde.

Miles Davis
Miles Davis

Dieses Muster ändert sich erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre grundlegend, nicht zuletzt im legendären Quintett von Miles Davis. Hier ist das Schlagzeug von Tony Williams völlig gleichgestellt und emanzipiert sich von der Rolle des Lieferanten eines rhythmischen Hintergrunds – es wird zum gleichberechtigten „Gesprächspartner”. Gelegentlich dreht sich das Verhältnis zwischen Begleitung und Solo sogar komplett um, und die Bläser begleiten letztlich nur noch die Rhythmusgruppe (ein schönes Beispiel findet sich auf dem Titelsong des Albums „Nefertiti”: die Bläser wiederholen wieder und wieder das Thema, während sich Herbie Hancock und Tony Williams gründlich austoben).

Das letzte Extrem findet man schließlich in den Experimenten des Free–Jazz, in dem alle Mitglieder einer Band absolut gleichberechtigt sind, und die Trennung zwischen Begleitung und Solo aufgehoben wird: jeder ist ständig am improvisieren, und jeder kann die Initiative übernehmen und die Performance in eine neue Richtung bewegen. Interessanterweise findet man das Wechselspiel zwischen Größe der Besetzung und Grad der Freiheit bei den Improvisationen auch in der sog. „Freien Musik” wieder: Großbesetzungen müssen zwangsläufig wesentlich mehr mit vorgegebenen Strukturen arbeiten als kleine Gruppierungen, damit es nicht zum schierem Chaos kommt. Bei letzteren ist es sehr viel eher möglich, Struktur zu erzielen, indem die Musiker einander zuhören und auf das Spiel des anderen spontan reagieren.