9.3.2009

Musikproduktion am Computer (18) - das Verschwinden des Auftakts

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Nicht nur in Bezug auf die Rhythmik, sondern auch bei der Gestaltung der formalen Struktur haben die Computer nicht einfach die Arbeit erleichtert, sondern auf inhaltlicher und ästhetischer Ebene Veränderungen bewirkt, die letztlich auf eine - stellenweise sehr subtile und nur schwer wahrnehmbare - Verarmung hinauslaufen.

So kann man beispielsweise beobachten, daß auftaktige Themen sehr selten geworden sind. Das hat zunächst gar nichts damit zu tun, daß Popmusik generell dazu tendiert, sehr einfache Formmodelle zu wählen. Auftakte sind - oder waren - ein sehr gängiges Muster, das auch ein ungeübter Hörer ohne weiteres nachvollziehen kann. Sie haben noch in jeder populären Musik eine wichtige Rolle gespielt, ob es sich um die Musicalmelodien der 30er oder die deutschen Schlager der 70er handelt. Sie sind aber bei der Bearbeitung von Musik am Computer außerordentlich unhandlich, weil sie sich dem simplen Schnitt an den Taktgrenzen verweigern. Wenn man eine auftaktige Phrase kopieren oder verschieben will, kann man dies letztlich nur auf der Event-Ebene tun, und muß die wesentlich übersichtlichere Ansicht im Arrange-Fenster verlassen - die Noten, die den Auftakt bilden, überlappen die zunächst klar untereinander liegenden formalen Grenzen, und erzwingen asynchrone Schnitte von Melodie und Begleitung.

Entscheidend hier ist aber die Möglichkeit, das Material in seine Einzelteile zu zerlegen, zu vervielfachen und an neue Stellen zu verfrachten. Man kann der Versuchung kaum widerstehen, einen einmal aufgenommenen Refrain überall dorthin zu kopieren, wo er erneut gebraucht wird, statt sich die Arbeit zu machen, ihn immer wieder erneut aufzunehmen. Ebenso wenig wird man die Begleitung einer Strophe mehrfach einspielen, wenn man denselben Job mit wenigen Mausklicks erledigen kann. Das muß nicht einmal so offensichtlich werden, daß nun jeder dieser Formteile exakt gleich klingt. Es reicht aus, einige nachträgliche Änderungen in der Instrumentierung vorzunehmen, oder eine neue Stimme hinzutreten zu lassen (die vielleicht ihrerseits auf einer Kopie basiert), um den Eindruck der Monotonie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Im Hintergrund ist aber solche Monotonie dennoch am Werke, und wenn man darauf trainiert ist, sie zu hören, bemerkt man plötzlich, daß eine Baßphrase in allen Strophen wörtlich wiederkehrt, oder ein Streicher-Arrangement selbst im Detail identisch bleibt. Selbst wenn man das nicht analytisch nachvollziehen kann, bleibt ein fader Nachgeschmack - zumindest für jene, die mit der Hörerfahrung von „handgemachter” Musik sozialisiert wurden, in der Variation selbst bei der Wiederholung immer gleicher Strukturen zwangsläufig gegeben war.

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