Glossar: Serielle Musik

Unter den Begriff »Serielle Musik« oder »Serialität« fällt jene Musik, die kurz nach dem zweiten Weltkrieg entstand. In ihr werden die Ideen von Arnold Schönberg und seinen Schülern aufgegriffen und auf die Spitze getrieben. Für eine Komposition wird nicht nur die Abfolge der zwölf Töne der chromatischen Tonleiter vorher festgelegt (Zwölftonmusik), sondern auch jene aller anderen musikalischen Parameter (Lautstärken, Instrumentierung, etc.), und schließlich selbst die Beziehung zwischen all diesen Reihen. Am Ende hat der Komponist nichts weiter zu tun, als die im Vorfeld definierten Serien zu Papier zu bringen. Der kreative Prozeß beschränkt sich also auf die Erfindung (bzw. der wiederum rationalen Kriterien unterworfenen Konstruktion) der Reihengestalten - der Rest besteht aus einer automatisierbaren Befolgung dieser Regeln.

Hier findet sich - zum einen - der Niederschlag des Traumas des Krieges: die romantische Musiktradition hatte sich völlig desavouiert, hatte man doch soeben erlebt, wie leicht sie sich für die Ideologie der Nazis einspannen ließ - Wagners Opern hatten dazu beigetragen, der faschistischen Gewalt einen feierlichen Anstrich zu geben, und Liszt wurde im Radio gespielt, um die Siegesmeldungen der Wehrmacht anzukündigen. Alles, was genialisch-übermenschlich daherkam, geriet unter Generalverdacht und wurde für die Katastrophe verantwortlich gemacht[1].

Zum anderen wurde der Weg bereits in den 30ern - noch vor der Machtübernahme Hitlers - freigeräumt, die letzten Schritte zu einer vollständig durchrationalisierten Musik zu gehen. Anton Webern - ein Schüler Schönbergs - hatte ihn in seinen Versuchen, auch die Ebene der Klangfarbe in Reihen zu organisieren, letztlich längst beschritten.

  • Die serielle Musik ist ein historisches Experiment, das sich als Sackgasse erweist. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, daß es seinerzeit keine Alternative gab: sämtliche Komponisten Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre sind Serialisten, auch solche, die später fundamental andere Wege gehen (namentlich Hans Werner Henze).
  • Die Werke lassen sich hörend nicht nachvollziehen - und sind letztlich auch nicht nur annähernd präzise aufführbar. Dies haben die Komponisten (namentlich Karl-Heinz Stockhausen) früh begriffen, und deshalb bald mit elektronischem Equipment experimentiert.
  • Fast zeitgleich finden Experimente (zentral hier: John Cage) mit Techniken der Aleatorik[2] statt - Musik verwandelt sich in eine Performance, und Noten werden nach dem Zufallsprinzip generiert. Dies ist insofern bemerkenswert, weil sich die Resultate des Zufalls für den Hörer letztlich nicht von denen vollständiger Determiniertheit unterscheiden. Dabei ist beiden Verfahren jedoch ein ganz grundsätzliches Element gemeinsam: sie stellen die Rolle des Individuums bei der Entstehung eines Kunstwerks grundsätzlich in Frage.
  • Was nach dem zweiten Weltkrieg in der Musik stattfand, hat gewisse Parallelen zu den Entwicklungen in der bildenden Kunst nach 1918. Futurismus und Dada haben in ihren programmatischen Äußerungen mehr als nur eine äußerliche Gemeinsamkeit mit jenen in Serialität und Aleatorik [3].

  1. [1] Ich kann dieses Thema hier nur antippen - egal, wie ich diese Sätze formuliere, bleiben sie in ihrer Kürze letztlich falsch. Mehr - und momentan auch nur sehr unvollständig - findet sich in meinem "Wege"-Baukasten.
  2. [2] „Alea” - lat. Würfel: Zufall.
  3. [3] Bei Walter Essl findet sich ein lesenswertes Essay zu dem Thema (sofern man den dort gelegentlich sehr weit ausholenden Griff in die Kiste philosophischer Grundbegriffe ausblendet).