17.1.2009

Cubase 5

Die neue Cubase-Version ist offiziell angekündigt - und ich muß nicht mehr aufpassen, daß mir doch noch ein verräterisches Wort herausrutscht. Das Thema beschäftigt mich seit mehr als einem Jahr, und ich kann - ohne in Eigenlob oder Steinberg-Werbung zu verfallen - sagen, daß Cubase 5 wohl das beste Major-Update geworden ist, das wir je gemacht haben. Die Version ist für eine „Punkt-Null” ausgesprochen stabil (wobei ich hoffe, daß die Bandbreite der Setups, die im Beta-Test gefahren wurden, ausreichend war und nicht doch noch böse Überraschungen ins Haus stehen), und die neuen Features sind m.E. wirklich überzeugend und brauchbar (ich gehe darauf nicht näher ein; Einzelheiten finden sich auf den Web-Seiten von Steinberg). - Ich sage das, weil das letzte Update wohl das schlechteste war, das es von Steinberg je gab. Die 4.0 war in jeder Hinsicht ein Albtraum - was viele User dazu bewogen hatte, bei der 3er zu bleiben - und erst ein Jahr später (mit dem 4.1-Release) wirklich benutzbar. Aus den Fehlern haben wir definitiv gelernt (dazu unten mehr), und es hat sich schon in der Beta-Phase herauskristallisiert, daß unsere User das genauso sehen.

Auf ein Feature bin ich besonders stolz, weil es (weitgehend; solche Sachen sind immer Gemeinschaftsarbeit) mein Konzept ist und auch z.T. auf meinem[1] Code basiert: VST-Expression. Dabei geht es um den Versuch, Spieltechniken und Artikulationen für den User so verfügbar zu machen, daß er einfach die dazugehörigen Symbole in den Notentext bzw. den Datenstrom eingibt: wenn z.B. ein virtuelles Cello „Pizzicato” (gezupft) spielen soll, gibt man nur die entsprechende Spielanweisung ein, und das Instrument (ein externes MIDI-Gerät oder ein internes VST-Instrument) wechselt den Sound. Das funktioniert auch mit Anweisungen wie „Staccato” und „Legato” (oder „Hammer-On” und „Pull-Off” einer Gitarre aus dem Sampler) - man klickt das Symbol über eine Note. Das setzt voraus, daß das Instrument die entsprechenden Sounds zur Verfügung stellt - ist dies der Fall, wird mittels eines zwischengeschalteten Mappings immer dann auf den entsprechenden Sound umgeschaltet, wenn das dazugehörige Symbol erscheint. - Das ist ein Feature, das nicht nur die User des Score-Editors nutzen können; die Spielanweisungen kann man auch im Key- bzw. Listen-Editor bearbeiten; man kann sie mit Remote-Keys auch bei der Aufnahme setzen.

Das hört sich erstmal sehr seltsam an, und ich hatte anfangs auch durchaus Probleme, mein Projekt den anderen Steinbergern zu vermitteln. Sobald man das einmal in Aktion gesehen hat, leuchtet der Sinn aber unmittelbar ein. Hans Zimmer (bzw. seine Crew von Technikern) ist z.B. gerade dabei, sein komplettes Setup so zu ändern, daß es mit diesem Feature bedienbar ist. Bisher hatte er für jede Artikulation einen eigenen Track in seinem Projekt-Template angelegt, um in der Lage zu sein, rasch z.B. von einem gestrichenen zu einem gezupften Cello zu wechseln - was zu einem Projekt mit mehreren hundert Tracks führte. Mit VST-Expression kann er es im Prinzip mit einem einzigen Track für jedes Instrument bewenden lassen - das Umschalten zwischen den Artikulationen übernimmt das Mapping. - Ich werde in den nächsten Tagen dazu noch ein wenig ausführlicher schreiben, eventuell baue ich ein Tutorial (wobei das Video auf der Steinberg-Seite gar nicht schlecht ist).

Erwähnenswert wäre, daß sich die internen Abläufe in der Entwicklung starkt verändert haben. Die 4.0 wurde noch konzipiert, als die Amerikaner uns dazu zwingen wollten, mit jedem Quartal maximale Ergebnisse vorzulegen - für die Börse, nicht für die User. Man hat sich da ständig selber in die Tasche gelogen, als man Ziele zu erreichen versprach, die unmöglich in der vorgesehenen Zeit zu schaffen waren - etwas anderes wurde vom Management schlicht nicht akzeptiert. Man hat also gigantische Featurelisten entworfen, Spezifikationen ohne Ende geschrieben - und sich wieder und wieder gewundert, warum die Entwickler so lange brauchen, und - als dann endlich etwas im Userinterface sicht- und bedienbar wurde - fassungslos vor Sachen gestanden, die letztendlich nicht benutzbar waren, obwohl sie den Spezifikationen entsprachen. Das Ergebnis war die 4.0 - und der Abschied von einigen begabten Kollegen, die es vorzogen, in die Selbstständigkeit zu wechseln.

Die „Wasserfall-Methode” funktioniert für Softwareentwicklung nicht - ich (und damit stehe ich ja nicht alleine) wußte das schon vorher. Jetzt gab es aber einige Argumente, warum man das so nicht machen kann, die alle nachvollziehen konnten, weil sie sie selber erlebt hatten. Außerdem hatten wir in Yamaha einen neuen Besitzer, der sich mit Entwicklungszyklen sogar noch besser auskennt als wir (Hardware dauert richtig lange); und - entscheidend - wir hatten ein paar Kollegen, die sich in „Agile” eingearbeitet hatten, und diese Methoden - abgewandelt und auf Steinberg-Verhältnisse angepaßt - dann in einem mühsamen Prozeß in der Firma durchgesetzt haben (mit dieser Fronarbeit hatte ich nichts zu tun - wobei die „agilen” Methoden jedem Hacker unmittelbar einleuchten, weil er sie ja schon immer selber praktiziert). - Auf das Thema „Agile Softwareentwicklung” werde ich noch näher eingehen; das ist allein deshalb hochinteressant, weil es zeigt, wie der Kapitalismus einmal mehr in der Lage war, Lebens- und Arbeitsbereiche in sich aufzusaugen, die ihm im Grunde wesensfremd sind.

Dabei ist dies ja schon meine zweite „Fünfte”: Cubase VST 5.0 (Ende der 90er) war die letzte Version, die auf der Grundlage der alten Codebasis erschien, und bei der ich noch gewissermaßen „Mädchen für alles” war. Ich hatte zu dem Zeitpunkt meine Finger in allen Programmbereichen (abgesehen vom Audio - stimmt nicht, ich habe im Audioeditor Bugs beheben müssen), habe Installer für den Mac geschrieben und dafür gesorgt, daß die Version auf den PC portiert wird. In der Endphase jener Entwicklung haben wir sogar offiziell an den Samstagen gearbeitet, inoffiziell natürlich an sieben Tagen und abends zuhause. Danach kam die Übernahme durch Pinnacle - und eine unsägliche Schlacht in der Entstehungsgeschichte von Cubase SX, über die ich definitiv keine Einzelheiten erzählen werde.

Ich kann sagen, daß das Blatt sich komplett gewendet hat. Es macht wirklich wieder Spaß, sich mit Cubase zu beschäftigen. - Die beste Seite an dem zurückliegendem Projekt ist jedoch eine ganz persönliche Geschichte: ich habe wieder angefangen, Musik zu machen (und einige überfällige Investitionen nachgeholt).

  1. [1] Wobei das Wort "wichtig" noch zu wiegen wäre. Ohne die Hilfe eines jüngeren Kollegen sähe das alles deutlich dürftiger aus. Man muß schon verdammt hartnäckig sein, um all jene Details zu programmieren, die die User hinterher nicht im mindesten wahrnehmen und für selbstverständlich halten - ohne engagierten Support hätte ich mich damit sehr schwer getan. - Ähnliches gilt für den "Content". Ohne die Arbeit des Product-Planing bei der Beschaffung von Sample-Libraries, die es erst ermöglichen, das Feature zu verstehen, sähe die Begeisterung wesentlich trüber aus - und dabei habe ich die für den Content verantwortlichen Sound-Designer noch gar nicht erwähnt (Tsching für das "Halion Symphonic Orchestra"-Demo, und mir unbekannte Genies bei Yamaha für das "Expression-Set").

Nachtrag: Wenn man derzeit nach „Cubase 5” googelt, findet man an erster Stelle einen Verweis auf einen Testbericht - der freilich vor zehn Jahren verfaßt wurde.

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