26.11.2008

Qualität und Musik

Nachdem ich mich seit kurzem von meiner Fixierung auf die sog. "Klassik" ein wenig gelöst habe, frage ich mich, woran ich eigentlich die Qualität von Musik festmache. Wenn man sich mit Kunstmusik beschäftigt, stellt sich diese Frage natürlich auch, sie ist aber deutlich einfacher zu beantworten, weil man letztlich immer - mit Adorno - hinschauen kann, wieweit sich das betrachtete Werk auf der Höhe seiner Zeit befunden hat, inwieweit also die eingesetzten Mittel "neu" sind bzw. einen Fortschritt darstellen. Damit ist es längst nicht getan - aber man hat dann immerhin einen ersten, meist sogar sehr deutlichen Fingerzeig.

In der Popmusik funktioniert das so überhaupt nicht. Selbst, wenn man ambitionierten Modern-Jazz - etwa die Aufnahmen des Quintetts um Miles Davis Mitte der Sechziger - in einer Debatte mit der "klassischen" Musik auf gleiche Höhe zu stellen versucht, kommt man rasch in Erklärungsnot: ungefähr jede musikalische Erfindung des Jazz wurde in der Klassik längst gemacht und breit ausgetreten. Häufig läuft es darauf hinaus, daß man auf den Bereich der Rhythmik abhebt, und das ominöse "Swingen" beschwört, das den Jazz so einmalig mache. Da ist durchaus einiges dran - dennoch findet man auch hier Beispiele - bei Brahms etwa, sofern das richtig gespielt wird - die großen Einfallsreichtum der Klassik auch im Erfinden von "Grooves" zeigen. Schließlich: das Tanzen hat nicht erst der Pop erfunden.

Popmusik hat eine Menge mit Mode zu tun - wie diese definiert sie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, und zwar mittels Betonung des Unterschieds zu anderen. Man vergewissert sich seiner eigenen Individualität, indem man sie dem Schutz einer Gruppenzugehörigkeit unterwirft - man grenzt sich gegen andere ab, indem man sich mit anderen eingrenzt, wobei das Gehege, das man dann mit anderen teilt, verdammt eng sein kann. Die Rebellion, in der man für andere besonders abstoßende Kleidung trägt oder Musik hört, geht einher mit einem Anschluß an Gleichgesinnte, wobei man dabei gelegentlich überhaupt erst lernt, was man tun muß, um sich anzupassen. - Das ist das Eine.

Auf der anderen Seite drückt die abendländische Kunstmusik der letzten vierhundert Jahre eben auch ein Lebensgefühl aus. Man findet letztlich auch hier Moden wieder, die sich allerdings hinter einer mehr oder wenig dicken Barriere aus vergangener Zeit verstecken. Wenn man Lieder von Schubert heute hört, übersieht man leicht die gesellschaftliche Funktion, die sie einst im Salon des Biedermeiers hatten - und eben jenes Funktionieren in einem gesellschaftlichen Zusammenhang haben jene Lieder mit denen des aktuellen Pop gemeinsam. Ein ganz wichtiger Punkt ist hier, daß auch der Anspruch von Musik, Kunst zu sein, einem gesellschaftlichem Zusammenhang entstammt, und keineswegs den Werken natürlich innewohnt. Der Begriff der Kunst geht auf Gesellschaft zurück, und hat mit Musik nur insofern etwas zu tun, als dieselbe Gesellschaft, in der Kunstmusik entsteht, auch diesen Begriff prägt.

(Ich lasse das mal so stehen - obwohl es mir scheint, als hätte ich die Argumentation im letzten Satz ein wenig zum Wackeln gebracht.)

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