31.10.2008

Ani DiFranco - Not A Pretty Girl

Ani DiFranco, Jahrgang 1970, Sängerin und Gitarristin, ist seit fast zwanzig Jahren im Geschäft, ihr Debutalbum erschien 1990. Auch "Not a Pretty Girl" ist schon etwas älter und stammt aus dem Jahr 1995 - dabei ist es alles andere als verstaubt, im Gegenteil.

Auf dem Album hört man akustische Gitarre - drei(?) von den vierzehn Songs sind ausschließlich von ihr begleitet -, und Schlagzeug; gelegentlich kommt eine Baßgitarre dazu, an ganz wenigen Stellen noch E-Gitarre, eine zweite Stimme, oder Geräuscheffekte. Wenn ich das vorher gewußt hätte, hätte ich die CD wohl nicht gekauft - selbst die Solo-Auftritte Melissa Etheridges finde ich, mit dem ewig-gleichen Geschrengel von der Gitarre im Hintergrund, nach kurzer Zeit langweilig - von anderen Sängern ganz zu schweigen.

Ich hatte also das Glück des Nicht-Wissenden. Mir wäre nämlich sonst einiges entgangen.

Der eigentliche Star der Aufnahmen ist die Gitarre. Was DiFranco mit ihr anstellt, habe ich in dieser Form noch nicht gehört: das ist Rhythmusarbeit - ohne jedes Solo - von einer Virtuosität, von der ich erst nicht glauben konnte, daß sie möglich ist. Ich vermute, daß die meisten Hörer der Meinung sind, daß hier mit endlosen Overdubbs, mit mindestens zwei Gitarren gearbeitet wird - ich habe selber erst im Booklet nachgeschaut in der Überzeugung, daß da wohl ein zweiter Gitarrist mitmacht. Nein: das ist, bis auf wenige Ausnahmen, genau eine Gitarre - die zwar mit Mitteln der Aufnahmetechnik so laut in den Vordergrund gemischt und äußert "dick" daherkommt, wie das "Live" nicht möglich wäre, die aber eben nicht aus mehreren Takes zusammengestückelt wurde (ich habe an einigen Stellen länger überlegen müssen - aber es geht, es ist realisierbar, auch wenn es höllisch schwer ist). Ich habe DiFranco noch nicht live gesehen, aber ich vermute stark, daß sie zu diesen ganzen Kunststücken überdies noch gleichzeitig singt.

Dabei ist dies kein Virtuosentum um seines selber willen. Die meisten Stücke sind formal sehr einfach, mit meist zwei Teilen, die zudem noch sehr ähnlich gestrickt sind. Es geht immer wieder um kurze, zwei- oder viertaktige Patterns, die ständig wiederholt werden und in erster Linie durch ihre rhythmische Prägnanz wirken. - Ich sage es mal anders: das geht ab wie die Pest, aller Heavy-Metal ist ein armseliges Geschrammel im Vergleich zu der Power, die hier von einer einzelnen Akustischen ausgeht. Es wird hier eben nicht einfach irgendeine Belanglosigkeit möglichst laut heraus geschrien, sondern durchaus komplexe rhythmische Einfälle in gnadenloser Genauigkeit abgefeuert und in groovende Spannung versetzt.

(Herrje, mir fällt jetzt erst auf, wie sehr ich das die letzten Jahre vermißt hatte - Grooves, die direkt auf den Körper zielen, und denen man sich durch keine Analyse entziehen kann.)

Mit von der Partie ist ein kongenialer Kollege am Schlagzeug. Andy Stochansky war mir bisher unbekannt - ich werde mir den Namen aber für die Zukunft merken; er gehört m.E. in die Liga der großen Studiodrummer - in Augenhöhe mit Jimmy Keltner oder Manu Katche -, die nicht versuchen, mit möglichst spektakulärer Technik zu glänzen, sondern ihre Klasse schon in dem Moment zeigen, wo sie nur die Bassdrum auf 1+3 und die Snare auf 2+4 bedienen (in Reinform zu bewundern in "Shy").

Mich würde sehr interessieren, wie die Aufnahmen entstanden sind (die Aufnahmetechnik verdient eigentlich einen eigenen Eintrag in meinem Blog: so, wie dort jedes Detail eingefangen und in einen äußerst klar gezeichneten Raum gestellt wird, wird das zu einer echten Referenzaufnahme zum Testen von Boxen und Verstärkern). An einigen Stellen wurde - klar erkennbar und durch nichts verschleiert - gedubbt; ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, daß man hier die klassische "Schichttorte" aufgeführt - d.h. erst Schlagzeug, dann Gitarre, und erst im letzten Durchgang den Gesang aufgenommen - hat. Ich vermute, daß zumindest Schlagzeug und Gitarren"begleitung" in einem Rutsch gemeinsam aufgenommen wurden - anders kann ich es nicht erklären, wie phänomenal groovend das zusammengeht.

Man kann sich ein eigenes Urteil - naja, schon sehr eingeschränkt durch die fatale Klangqualität - über das Album bei lastfm bilden. In meinen heimlichen Favorit ("Light of Some Kind" - was die Gitarre da macht, ist nur knapp vor der Grenze meines Verstehens) kann man nur hereinhören - dafür gibt es (u.a.) den Titelsong - eine veritable Hymne - in voller Länge.

Wenn es einen Preis für das Booklet mit den schlechtest lesbaren Lyrics geben sollte: hier ist der Gewinner. Abhilfe findet man z.B. hier.

[Ich schließe mal, obwohl ich zu den einzelnen Stücken noch einiges loszuwerden hätte - aber DiFranco hat ja noch 24 weitere Alben aufgenommen, da muß ich hier jetzt noch ein paar Seiten frei lassen.]

(Kommentarfunktion z.Zt. deaktiviert.)