Glossar: Obertonreihe
In jedem Ton, der klingt, schwingt eine ganze Serie anderer Töne mit. Töne in der Musik sind eigentlich bereits Klänge, die ein breites Frequenzspektrum umfassen.
Wenn man eine Saite anschlägt, beginnt sie zu schwingen, wodurch sich die Luft um sie in Schallwellen ausbreitet: dadurch wird sie hörbar. Nun ist dieses Schwingen nicht nur ein Hin und Her auf der gesamten Länge der Saite – es bilden sich Oberschwingungen, und zwar überall dort, wo die Saitenlänge sich in gleiche Teile zerlegen läßt: bei der Hälfte der Saite (dort überaus deutlich wahrnehmbar), dem Drittel, dem Viertel etc. (mit stetig abnehmender Lautstärke).
Bei der Teilung einer Saite in gradzahlige Verhältnisse ergeben sich die grundlegenden Intervalle. Die Halbierung der Saitenlänge ergibt die Oktave, einem Drittel entspricht die Quinte, eine Viertelung bringt erneut eine Oktave, etc.
Diese Verhältnisse findet man auch im einzelnen klingenden Ton wieder; sie ergeben die Obertonreihe:
Auf (1) findet sich der Grundton; (2), (4), (8) und (16) sind die Oktaven darüber; (3), (6) und (12) sind die Quinten. Die übrigen Obertöne sind nicht mehr ohne weiteres in das Modell der Musik des Abendlands unterzubringen, das eine Oktave in zwölf gleichförmige Intervalle zerteilt – die Notation führt ein wenig in die Irre, weil alle anderen Töne im Obertonspektrum ein wenig höher oder tiefer erscheinen, als wenn man sie, wie notiert, auf dem Klavier spielt.
Weiterführende Anmerkungen:
- Das Prinzip der „schwingenden Saite” findet bei Blasinstrumenten im Schwingen der Luftsäule im Inneren der Instrumente ihre Entsprechung, bei der menschlichen Stimme im Schwingen der Stimmbänder.
- Eine einzelne Schwingung (ohne jeden Oberton) läßt sich nur auf elektronischem Wege erzeugen; tatsächlich ist die sog. Sinusschwingung Ausgangspunkt in der Klangerzeugung zahlreicher Synthesizer.
- Die unterschiedliche Stärke und Ausprägung der erklingenden Obertöne ist – maßgeblich, aber nicht ausschließlich – für die Klangfarbe verantwortlich, an der man unterschiedliche Instrumente voneinander unterscheiden kann.
- Selbst die Quinte – immerhin erst Oberton (3) – ist in der Teilung der Oktave in zwölf gleichförmige Schritte („Halbtöne” => wohltemperierte Stimmung) nicht „rein” darstellbar: man nimmt hier eine minimale Abweichung vom 2:3-Verhältnis in Kauf. Allein dies hat außerordentlich weitreichende Konsequenzen. – Noch krasser tritt diese Abweichung zutage, je weiter man sich in die komplexeren Verhältnisse begibt: 4:5 (Oberton 5) etwa ist schon derart weit entfernt von seiner Entsprechung im wohltemperierten Gefüge, daß die Behauptung, der Dur-Dreiklang (wie er in (4)-(5)-(6) ja notiert erscheint) sei naturgegeben, weil er in der Obertonreihe in jedem Ton mitschwingt, fast schon zur Belustigung Anlaß gibt.