Zweizimmerwohnung im Bankenviertel
Was im Moment auf den Finanzmärkten passiert [1], kommt mir vor wie die verschärfte Wiederkehr des Niedergangs der Hitech-Branche an der NASDAQ und dem Neuen Markt im Jahr 2000: alle sehen gebannt dabei zu, wie sich eine gewaltige Blase aufbaut, und keiner rechnet im Mindesten damit, daß sie ausgerechnet morgen platzt. - Ich will nicht so tun, als ob ich verstünde, was da im Moment los ist; ich habe in solch einer Situation aber mal selber zu den aktiven [2] Spielern gehört.
Pünktlich zu Beginn des Jahres 2000 fand bei Steinberg ein denkwürdiges Meeting statt, bei dem einer relativ großen Gruppe von "Key-Employees" der bevorstehende Börsengang ihrer Firma bekannt gemacht wurde. Der Neue Markt befand sich auf einem ungebrochenen, ganz unglaublichen Höhenflug, und die Geschäftspläne, die die Geschäftsleitung den Investoren vorzulegen gedachten, klangen zwar reichlich größenwahnsinnig, aber im Umfeld der allgemeinen Euphorie wesentlich weniger verrückt als das, was man sonst gewohnt war - immerhin produzierte Steinberg seit Jahren echte Werte, und versuchte nicht, bloß irgendeine Luftnummer in Cash zu verwandeln.
Mir wurde angeboten, mit genau einem Prozent (was in der Folge immer mehr verdünnt wurde) in die Firma einzusteigen - viel zu wenig, wie einige Kollegen schimpften, die ebenso viel bekommen sollten, obwohl sie jene Schlüsselerfindungen gemacht hatten, die den Erfolg der Firma erst ermöglichten. Wohlbemerkt: das war nicht als Geschenk gedacht - mit der Summe, die ich schließlich investiert habe, hätte ich eine Zweizimmerwohnung im Zentrum Hamburgs kaufen können.
Wie es weiterging, ist bekannt: der Neue Markt begann nur drei Monate später ins Bodenlose abzustürzen; unser Börsengang wurde erst verschoben, dann ausgesetzt. Im Vorfeld waren aber bereits umfassende Umbauarbeiten an der Firma beschlossen worden, die man nicht einfach eben wieder abgeblasen konnte: die Belegschaft verdoppelte sich, völlig neue Geschäftsbereiche wurden in Angriff genommen, neue Räumlichkeiten waren langfristig angemietet, etc.pp.. Ich habe knapp drei Jahre richtig geschwitzt, weil es durchaus möglich gewesen wäre, daß meine Anteile - die ja nie als Aktien ausgegeben wurden, so daß ich sie hätte verkaufen können - komplett wertlos werden, und ich den Rest meines Lebens statt Hypotheken für eine Wohnung Zinszahlungen für einen Kredit zahlen muß (wobei ich noch Glück hatte und meinen Kredit wenigstens im Kreis der Familie aufnehmen konnte). - Ende 2002 hat Pinnacle Steinberg geschluckt - zu einem Kurs, der meinen Einsatz wenigstens in Maßen verzinst hat (der Pinnacle-Link bekommt ein rel=nofollow auf den Hals - das erspart mir einen Kommentar, was ich von der Firma und den beiden Jahren unter ihrer Fuchtel halte).
Eigentlich wollte ich diese Geschichte an einer ganz anderen Stelle erzählen - sie paßt aber derart gut zu den Ereignissen der letzten Tage, daß ich sie jetzt loswerden muß, denn:
Ich erinnere mich gut an den Abend nach jenem konstituierenden Meeting: die frisch gebackenen Anteilsinhaber aus der Entwicklungsabteilung trafen sich noch zu einem gemeinsamen Essen (was an sich bemerkenswert ist, weil wir schon immer im Büro viel zu dicht aufeinander gehockt haben, um uns noch privat zu ertragen). Ich hatte noch meinen Traum vom Eigenheim im Kopf, und habe irgendwann vorsichtig in die Runde geworfen, daß ich mein Geld eigentlich für etwas anderes ausgeben wollte - aber wie soll man sich des Arguments [3] erwehren, daß man, wenn die Sache erst am Rollen ist, sich zehn Wohnungen würde kaufen können?
Ich glaube, Entscheidungen, die man an solchen Stellen trifft, haben nicht sonderlich viel mit unverhältnismäßiger Gier oder mangelndem Verstand zu tun - da holen einen die eigenen Träume ein.
- [1] Eine recht gute Zusammenfassung mit umfangreichen weiterführenden Links findet man bei Telepolis.
- [2] "Aktiv": naja... als ganz kleines Licht.
- [3] Argumente, die nicht bloß an die Vernunft appellieren, sondern tatsächlich rational sind, muß man sowieso mit dem Elektronenmikroskop suchen.