Formel-1-Debut in Singapur

Eigentlich hatte ich nur eine halbe Stunde der Vorberichterstattung sehen wollen, um einen Eindruck von der Strecke zu bekommen. Statt dessen habe ich das komplette Rennen, zunehmend gebannt und fasziniert, vor dem Bildschirm verfolgt.

Rennen

Der Rennverlauf selbst war spektakulär genug: in der fünfzehnten Runde dreht Piquet sein Auto in die Leitplanken, und in der folgenden Safty-Car-Phase wird das Feld komplett durchmischt: während Massa aus der Pole-Position zuerst dem Feld davon fährt, findet er sich nach einem peinlichen Fehler von Ferrari beim Tanken (er bekommt grünes Licht zum Weiterfahren, während der Rüssel noch im Auto steckt, und reißt die halbe Tankanlage hinter sich her) auf dem letzten Platz wieder. Während das Safty-Car draußen ist, darf niemand an die Box: Pech für Rosberg und Kubica, daß ihnen das Benzin ausgeht, sie dennoch in die Boxengasse müssen, und dafür eine zehnsekündige Stop-und-Go-Strafe bekommen. Umso erstaunlicher, daß Rosberg es noch auf den zweiten Platz schafft; Hamilton wird Dritter, und ist in der Fahrerwertung mit sieben Punkten vor Massa, der das Rennen ohne Punkte beendet. Die eigentliche Sensation gelingt freilich Alonso: obwohl sein Renault eigentlich mit Ferrari und McLaren nicht mithalten kann, gewinnt er das Rennen mit einer furiosen Vorstellung, bei der er praktisch nach Belieben immer wieder Runden einlegt, die bis zu zwei Sekunden schneller sind als die der Verfolger.

Strecke

Die Strecke selber ist großartig, mit 23 zum Teil richtig schwierigen Kurven auf gut fünf Kilometern unglaublich anstrengend zu fahren. Außerdem ist sie relativ schmal und an einigen Stellen hundsgemein huckelig und wellig - ich habe hier zum ersten Mal gesehen, daß F1-Autos mit dem Monocock auf den Asphalt schlagen und einen ganzen Funkenregen hinter sich her ziehen.

Ausgesprochen interessant fand ich die Linien, die gefahren wurden: idR entsprach das exakt dem, was ich - nach einigem Überlegen - wahrscheinlich auf dem Motorrad selber machen würde. Angeblich sind die Ablösepunkte mit dem Auto einen Tick früher als mit dem Moped - davon habe ich aber nichts bemerkt; alle Fahrer lösen mit einem heftigen Lenkimpuls enorm spät ab. Eine Ausnahme war Trulli in einer Phase, als er mit vollem Tank und schwererem Auto Kampflinie gegen Rosberg fuhr (der auch erst nach endlosen Runden in einer verwegenen Aktion vorbeikam): da wurde deutlich früher eingelenkt, um dem Gegner ja keine Möglichkeit zu geben, innen vorbei zu ziehen.

Die Bildregie hat netterweise reichlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, aus der direkten Fahrerperspektive zu übertragen. Es scheint, daß mittlerweile in jedem Auto eine Kamera eingebaut ist, und zwar auch mit dem dazugehörigen Sound (und - leider nur gelegentlich eingeblendet - mit den kompletten Instrumenten: Gang, Drehzahl, Zustand von Bremse und Gas). Dadurch bekommt man ein klares Bild, wo gebremst und Gas gegeben wird - und wenn man die Kräfte, die hier wirken (im etwas verkleinerten Maßstab) selber kennt, kann man sich leicht in die Rolle der Piloten hinein phantasieren.

Kulisse

Die ganze Show fand statt vor einer Kulisse, die für sich genommen schon ebenso faszinierend wie befremdlich war, um mich vor dem Fernseher zu halten.

Die Strecke ist mitten im Hafenbezirk der Stadt, auf Straßen, die zum normalen Straßennetz gehören. Dann findet das Rennen - als erstes und einziges in der F1-Geschichte - in der Nacht statt, auf von tausenden eigens angebrachten Lampen taghell erleuchtetem Kurs. Wenn die Kameras einen Überblick über die Szenerie gaben (und das taten sie oft und ausgiebig), konnte man den Stau aus LKWs und nächtlichen Pendlern auf den vielspurig über den Hafen gespannten Brücken sehen, im Hintergrund die Hochhäuser der Skyline, darunter ein gleißend weißes Band, mit den sich schnell bewegenden winzigen Pünktchen der Rennautos.

Show

Da riskiert ein Häuflein männlicher Teenager aus Europa das Leben beim Versuch herauszufinden, wer nach siebzig Runden als erster durchs Ziel geht. Diese Schar aus knapp zwanzig Köpfen und Körpern wird mit Millionensummen bezahlt; sie fährt Material, das in Herstellung und Entwicklung dreistellige Millionenbeträge verschlingt; sie tut dies vor der Kulisse einer Metropole, die für diese Gelegenheit ihr Verkehrssystem komplett ausgehebelt hat; und sie tut dies in einem Land, das ein Produkt für die Konsumenten im fernen Europa herstellt, und dafür gewillt ist, den eigenen Biorhythmus temporär über Bord zu werfen.

Ein besseres Bild läßt sich kaum finden für ein Wirtschaftssystem, das derart durchgeknallt ist, daß selbst die, die diese Durchgeknalltheit zumindest bemerken, dennoch der Faszination ihrer Produkte erliegen.