Über Rhythmik (5)

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Agogik heißt die Kunst, das Tempo zu verändern. Beispielsweise läßt ein Interpret die Musik immer schneller werden, um schließlich wieder abzubremsen und im ursprünglichen Tempo weiterzugehen – damit läßt sich Spannung aufbauen. Oder er wird zum Ende einer Phrase langsamer, holt gewissermaßen Atem, um mit Beginn des nächsten Abschnitts wieder das alte Tempo aufzunehmen – so bekommt ein ohnehin schon langsamer Satz besonderen Nachdruck und Schwere. Auch in kürzeren Bezügen, innerhalb eines einzelnen Taktes etwa, kann man alle möglichen Formen finden, mit denen der gleichförmige Verlauf des Tempos variiert wird.

Hier findet sich der größte Gegensatz zwischen der traditionellen abendländischen Musik und der Popmusik, gleich welcher Form. Wo aller Pop (auch der „swingende” Jazz) einem gleichförmigen Puls folgt, wird dieser in der „Klassik” ständig gebogen, beschleunigt und zerdehnt. Das heißt keinesfalls, daß es hier keinen Puls gäbe: ohne seine latente Gegenwart wäre es nicht möglich, die Abweichungen von seiner gleichmäßigen Form überhaupt wahrzunehmen.

Man kann hier aber auch eine Linie malen zwischen dem computergenerierten „objektiven” Puls bis hin zu dem völlig willkürlichen Gewackel, dem überhaupt kein Puls mehr zugeordnet werden kann. Auf dieser Linie findet sich dann z.B. der live gespielte Pop schon nicht mehr ganz auf dem extremen Pol; handgemachte Rockmusik vor der Schulung des Ohres an der „objektiven Time” der Drummachines übrigens noch ein wenig weiter entfernt davon, als heutige Livebands, die kaum noch vom Computer zu unterscheiden sind. Auf der anderen Seite des Extrems finden sich bspw. Freejazz und serielle Musik – wobei es auch im „Free”-Bereich Passagen gibt, die plötzlich einen Puls zu haben scheinen.