11.9.2008

Uwe Timm - Halbschatten

Uwe Timms Bücher habe ich erst vor kurzem kennengelernt, und "Halbschatten" ist das erste, das ich sofort, noch bevor es als Taschenbuch erschwinglich wird, kaufen mußte. Es gibt nur noch zwei andere Autoren, bei denen ich nicht warten mag, und einer davon (John Irving) hat sich mit seinem letzten Werk aus diesem meinen exklusiven Kreis wieder ausgeschlossen [1]. - Das sage ich, um klar zu machen, daß ich Timm geradezu verehre, und eine objektive Kritik über ihn von mir kaum zu bekommen ist.

Der Erzähler begibt auf den Invalidenfriedhof, und läßt sich dort von einem Führer die Spuren deutscher Geschichte erklären:

An diesem Ort, sagt er, liegt die deutsche, liegt die preußische Geschichte begraben, jedenfalls die militärische. Scharnhorst liegt hier und andere Generäle, Admiräle, Obristen, Majore, bekannte Jagdflieger, damals die Helden der Luft, Richthofen, Udet, Mölders, und unter all diesen Männern, diesen Militärs, liegt eine Frau. Sehen sie den Grabstein, er ist neu gesetzt worden, der alte war in den Kampfhandlungen zu Ende des Kriegs zerstört worden, ein Granitbrocken, ein Findling. Der Flug ist das Leben wert, 1907 geboren, 1933 gestorben. Marga von Etzdorf. Eine Fliegerin, eine der ersten in Deutschland.
Ja, sage ich, sie sei der Grund, warum ich hierhergekommen bin. Ich hatte vermutet, sie sei abgestürzt, las dann aber, sie habe sich nach einer Bruchlandung in Syrien, in Aleppo, erschossen. Das weckte meine Neugier. Eine Frau, eine Fünfundzwanzigjährige, erschießt sich nicht wegen einer Bruchlandung, dachte ich.

In diesen wenigen Sätzen wird schon deutlich, was ich an Timm schätze: seine völlig unambitionierte Sprache, und die Themen, um die es ihm einzig geht.

Mit "unabitioniert" meine ich im Zusammenhang das Gegenteil von "unbedarft", im Gegenteil: Timm will klar und deutlich sprechen, und zwar mit möglichst wenigen und vor allem unaufgeregten Worten. Seine Themen sind schon - nicht nur auf den ersten Blick - wahnwitzig und irreal genug, da würde es wenig helfen, die Dinge mit rhetorischen Mitteln zu beschwören oder ins rechte Licht zu setzten, zurechtzurücken womöglich.

Marga von Etzdorf ist im gleichen Jahr geboren wie die auch heute noch bekannte Elly Beinhorn - zu ihrer Zeit, Ende der Zwanziger, Anfang der Dreißiger Jahre, waren diese beiden Frauen gleichauf in ihrer Berühmtheit. Die eine hat man völlig vergessen, der Tod der anderen Ende letzten Jahres, im Alter von genau hundert Jahren, hat noch so manchen berührt, dessen Großmutter sie hätte sein können (mich, beispielsweise). - Wie kann so etwas passieren? Warum ist von zwei Leben, die auf ihrem Höhepunkt exakt dasselbe taten - sich als Frau in die Luft so zu erheben, wie das bisher nur Männern erlaubt war - nur jenes in der Erinnerung der Geschichte, das den Naziterror heil überlebte? warum jenes wie weggewischt, das sich, ganz zu Anfang, dem verweigerte?

Uwe Timm - Jahrgang 1940, als Nesthäkchen in einer Familie geboren, in der der ältere Bruder schon den Beginn des Rußlandfeldzugs mitmachen mußte - stellt schon ziemlich spannende Fragen. Letztlich versucht er sich sogar an einer Antwort - und der Weg dorthin liest sich spannender als jede Fiktion.

  1. [1] Der übrig bleibt: TC Boyle.
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