4.9.2008

Notizbuch (Bachmann / Celan - Briefwechsel)

Manchmal möchte ich nichts, als weggehen und nach Paris kommen, spüren, wie Du meine Hände anfasst, wie Du mich ganz mit Blumen anfasst und dann wieder nicht wissen, woher Du kommst und wohin Du gehst. Für mich bist Du aus Indien oder einem noch ferneren, dunklen, braunen Land, für mich bist Du Wüste und Meer und alles was Geheimnis ist. Ich weiss noch immer nichts von Dir und habe darum oft Angst um Dich, ich kann mir nicht vorstellen, dass Du irgend etwas tun sollst, was wir anderen hier tun, ich sollte ein Schloss für uns haben und Dich zu mir holen, damit Du mein verwunschener Herr drin sein kannst, wir werden viele Teppiche drin haben und Musik, und die Liebe erfinden.

(Ingeborg Bachmann an Paul Celan, 24.6.1949)

Verschiedener können Liebende kaum sein: Ingeborg Bachmann, Jahrgang 1926, aufgewachsen in einem Elternhaus, in dem der Vater 1932 Mitglied der NSDAP wird; und Paul Celan, 1920 in einer in der Bukowina lebenden, deutschsprachigen Familie geboren, dessen Eltern im KZ umgebracht werden. Sie lernen sich 1948 im besetzten Wien kennen und lieben, bevor Celan, nach nur wenigen gemeinsamen Wochen, nach Paris zieht. Die Beziehung setzt sich - mit langen Pausen und unter großen Zweifeln, ja gelegentlicher Verzweifelung - letztlich bis zu Celans Freitod 1970 fort, und zwar auch, nachdem Celan Gisèle Lestrange heiratet, und Bachmann ihr Leben mit Max Frisch teilt (es gibt einen Briefwechsel zwischen Celan und Frisch, und Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange treffen sich noch nach Celans Tod).

Ich habe gerade angefangen, den Briefwechsel zu lesen - und komme nicht recht voran, weil ich immer wieder zu bewegt bin, um einfach weiter zu blättern. Die Gebrochenheit, die fast in jedem Wort und jeder Zeile - auch in den langen Pausen zwischen den einzelnen Briefen - zu Tage tritt, ist schwer zu ertragen, und gleichzeitig von einer einzigartigen Schönheit.

So also, möchte ich mir gerne einreden, funktionieren Menschen, die nichts gemeinsam haben als ihre Sprache - so also wäre es letztlich doch noch möglich, jene Barriere zumindest anzuzweifeln, die zwischen den versprengten Einzelnen der Moderne unwiderruflich steht.

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