Edward Elgar - Violinkonzert h-moll op.61
Nigel Kennedy
City of Birmingham Symphony Orchestra
Simon Rattle
Edward Elgar (1857-1934) hat sein Violinkonzert 1909 geschrieben; die Uraufführung fand ein Jahr später in der Queen's Hall in London statt, mit Fritz Kreisler als Solisten, dem das Werk auch gewidmet ist.
Wenn man Elgar und sein Werk mit all dem vergleicht, was in jener Zeit die Welt der Musik bewegte, ist man zunächst geneigt, ihn als Epigonen einzuordnen, der bei den harmonischen und formalen Mitteln eines Johannes Brahms stehen bleibt. Damit wäre er einer von vielen, der von all den Neuerungen Mahlers oder Strauss' (Salome) - ganz zu schweigen von Arnold Schönbergs erstem Tasten in Richtung Freie Atonalität - nicht das Mindeste aufnahm, geschweige denn antizipierte.
Auf den ersten Blick hat das Violinkonzert einen ganz konventionellen Aufbau: der erste Satz folgt den Regeln, die bereits in Mozarts Klavierkonzerten formuliert wurden (Sonatenhauptsatz mit zwei kontrastrierenden Themen, mit einer doppelten Exposition zunächst durch das Orchester, dann den Solisten); es folgt ein langsamer Satz, in dem der Solist zeigen kann, daß er nicht nur über virtuose Technik verfügt, sondern auch "singen" kann; zum Schluß folgt ein furioser Kehraus, der das Publikum zu begeistertem Applaus ob der gezeigten Zaubertricks auf dem Instrument hinreißen soll.
Wenn man ein wenig genauer hinsieht, finden sich jedoch eine Reihe Züge, die aus dem Schema ausbrechen. Im letzten Satz etwa bricht das übliche virtuose Feuerwerk in der Hälfte einfach ab. Es folgen fast zehn Minuten, in denen der streckenweise vom Orchester unbegleitete - "im Stich gelassene", möchte man meinen - Solist vor sich hingrübelt, das Thema aus dem langsamen Satz nochmals aufgreift, und eine fast strukturlose Einöde aus einsamen Gedanken entwirft. In der letzten Minute wird das Hauptthema nochmals kurz vom aufbrausenden Orchester hochgefahren, um mit einem völlig willkürlichem Optimismus (plötzlich wird aus h-moll noch ein Schluß in H-Dur) den vorangegangenen zauderlichen Pessimismus letztlich zu unterstreichen.
Ich rede über Musik nicht gerne in solcher Bildersprache - meistens ist das eine Ausrede, weil man nicht über die technischen Begriffe verfügt, um das zu beschreiben, was man gehört hat. Bei Elgar gibt es durchaus einen Grund, dies dennoch zu tun: die Anlage seiner Werke (und das gilt für das Violinkonzert in besonderem Maß) folgt letztlich einem dramatischen Programm. Das allein ist nichts Besonderes; Hector Berlioz hat das Verfahren erfunden, und die Neudeutschen um Franz Liszt haben knapp fünfzig Jahre später behauptet, Neuland zu betreten, als sie es benutzten. Außergewöhnlich bei Elgar - nochmals knapp fünfzig Jahre später - ist der Versuch, die klassischen Formen so zu verwenden, daß diese die dramatischen Ideen des fin de siêcle transportieren. Das ist eine außerordentlich sprechende Musik - und in dieser (nur in dieser) Hinsicht mit jener Gustav Mahlers verwandt.
Zur verlinkten Aufnahme: von Nigel Kennedy ist bekannt, daß er einen gigantischen Verkaufserfolg mit seiner Aufnahme von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" hatte, und außerdem als "Rebell" im Klassiklager gilt, weil man ihn zuweilen auch mal bei Jazz- oder Popaufnahmen findet. Wenn man sich seine Interpretation von Elgars Konzert anhört, dürfte man in seinem Urteil einen Schritt weiter sein: das ist ein technisch unglaublich versierter Geiger, dem bei allem Virtuosentum nur eines wichtig ist: die musikalische Substanz.