18.7.2008

Franz Schreker - Die Gezeichneten (2)

Bereits im Vorspiel wird jener impressionistische Klangteppich ausgebreitet, der so typisch ist für das Schrekersche Komponieren: man hört immer wieder satte Dur-Dreiklänge, die oft über Terzverwandschaften verbunden funktionslos in der Luft hängen - und über und in ihnen ein ganzes Knäuel aus schärfsten Dissonanzen, die freilich von Harfe, Celestra oder Marimbaphon wie hingehaucht daherkommen. Man kann das auf zweierlei Weise hören: stellt man die harmonische Struktur aus tiefen Streichern und Blech hervor, ist es leicht versteh- und sogar konsumierbar. Hält man sich an die Schicht der Dissonanzen, bekommt die Musik einen ruhelosen, verstörenden Charakter, der fast schon Angst auslösen kann.

Neben dieser Suche nach "Klang an sich" (eine Oper zuvor - im 1912 entstandenen "Der ferne Klang" - bezieht sich selbst das Textbuch auf dieses Thema) finden sich Annäherungen ans Belcanto, und - wie kann es anders sein - Bezüge auf die Überfigur des ausgehenden 19.Jh, Richard Wagner.

Neben dem Vorspiel wäre die Arie der Carlotta gegen Ende des ersten Akts herauszuheben: ein derart betörendenes Belcanto hat keiner der Italiener je hinbekommen; der einzige Vergleich, der mir einfällt - und der mir auch nach einigem Nachdenken nicht zu hoch gegriffen vorkommt - findet sich im Ende von Wagners "Tristan", in Isoldes Liebestod.

Gewöhnlich ärgere ich mich über jene Freunde der Oper, die sich freuen, wenn der Text "in Italienisch" ist, so daß sie ihn nicht verstehen und er sie nicht belästigt in ihrer Schwelgerei in schönen Stimmen. Oper hat einen Inhalt, und der teilt sich mit über ihr Buch. Die Musik hat hier natürlich keinesfalls eine illustrierende Funktion (wie man dies von heutiger Filmmusik gewohnt ist); sie kommentiert die Bedeutung des Textes, indem sie im Gesang und in der Begleitung des Orchesters Kontraste schafft, dem Wort widerspricht, oder ihm eine zusätzliche Ausdrucksebene verschafft. Den Text beiseite zu lassen, ist allein deshalb keine gute Idee, weil man sonst nicht versteht, woran die Musik sich reibt - dies gilt für alle Zeiten seit Monteverdi, für die Epoche seit Wagner erst recht.

Trotzdem kann ich Schrekers Text (der Komponist schrieb auch das Libretto) nicht lesen, ohne wieder und wieder in einem Anfall von Fremdschämen das Textbuch zu zuklappen und mir fest vorzunehmen, diese Oper aus meinem Gedächtnis zu streichen. Schon die Synopsis mag ich nicht erzählen, und wenn ich dann gezwungen würde, noch Beispiele zu zitieren, wäre ich in großer Not. - Sei's drum, aus einer Arie der Hauptfigur (Alviano) im ersten Akt:

Es gab Frühlingnächte. Bei offenen Fenstern tanzt es herein. Alle schwülen Zauber, Blumengeruch, schwer und betäubend.
Und ich mußte fort, geschüttelt von Fiebern, hinaus in einsame Gassen. Und suchte ein Dirnchen, so recht ein verkomm'nes. Sprach es an, bot ihr Gold, viel Gold und fühlte mich doch dem Bettler gleich, der Almosen heischt.

Einerseits ist das natürlich Fin de siêcle in Reinstform, wo (sexueller) Ausbruch und Verklemmtheit eins in eins gehen. Andererseits: wenn man bei Wagner blättert, wird man ebenso fündig - die Ring-Dichtung ist geradezu verseucht mit Textstellen, die man nicht lesen kann, ohne daß es einem die Schamröte ins Gesicht treibt. Insofern kann man Schreker sogar aus der Kritik nehmen: er hat den Übervater seiner Epoche überaus Ernst genommen, und auch dessen fragwürdige Seiten zu übertreffen versucht.

Witz beiseite: dies ist großartige Musik, man muß sie hören - einfach bloß hören, selbst wo dieses Vorhaben alles andere als "einfach" ist.

Die DECCA-Aufnahme aus der "Entartete Musik"-Reihe scheint es nur noch völlig überteuert zu geben - was wirklich schade ist: Elizabeth Connell singt dort eine außerordentliche Carlotta. Dafür gibt es aber seit letztem Jahr eine DVD, die ich nicht kenne, die aber eine vielversprechende Besetzungsliste aufweist (Anne Schwanewilms, Robert Hale) - ist bestellt, ich werde berichten.

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