Kunst und Leben

Ich kann nicht glauben, daß Schönheit die Domäne einer bestimmten Schicht ist, und neige zu der Annahme, daß ein Kunstwerk, das nur solchen Menschen etwas sagt, die eine besondere Bildung genossen haben, genauso unerheblich ist wie die Schicht der sie angehören.

(W. Somerset Maugham)

Ich habe - beim Lesen seiner Romane - gelernt, Maugham für seine Menschenkenntnis und ungemeine Bescheidenheit zu bewundern; in der zitierten Passage liegt er jedoch komplett daneben.

Maugham - Jahrgang 1874, ein Kind des Viktorianismus - schrieb diesen Satz in den dreißiger Jahren, im Wissen um Einstein wie Nietzsche, aber noch im Bewußtsein einer stark hierarchisch verfaßten Gesellschaft (das geht so weit, daß er den Sieg des Proletariats für wünschenswert und unvermeidbar erklärt, gleichzeitig aber hofft, die Revolution - als wohlbetuchter Künstler - nicht mehr persönlich zu erleben). Man kann seine Ansicht nur aus dieser Perspektive einordnen und verstehen - und diese Sicht auf den historischen Kontext bewahrt ihn vor einer harschen Kritik, weil sie eben jene Haltung seiner Meinung gegenüber einnimmt, die er für seinen Kunstbegriff nicht gelten lassen will:

[...] Ich weiß nicht, warum zwischen alter und neuer Kunst unterschieden wird. Es gibt nur Kunst. Kunst ist Leben. Einem Kunstobjekt durch Verweis auf seine historischen, kulturellen oder archäologischen Bezüge Leben zu geben ist sinnlos. [...] Es kommt [...] darauf an, ob sie uns hier und jetzt ästhetisch packt [...].

Maughans Meinung ist nur auszuhalten, wenn man sie im historisch-archäologischen Kontext betrachtet; sonst ist sie - übrigens selbst im Rahmen seiner eigenen Zeit reichlich fragwürdig - schlicht falsch.

Dennoch sind diese Sätze ein würdiger Aufhänger, um Kategorien wie "Bildung" in ihrer Abhängigkeit zum "Bildungskanon" bestimmter "Schichten" zu untersuchen; es stellt sich die Frage, was denn Bildung überhaupt sei, bzw. wie es geschehen konnte, daß sich ein klarer Begriff im Lauf der Geschichte erst entwickelte, um schließlich zu einem kaum greifbaren Nebel zu zerstäuben. - "Bildung", "Leben", "Kunst" - das sind bei Maugham noch einmal große Worte und in einen einfachem Zusammenhang gestellt, der so ersehnt ist wie hoffnungslos verloren für die heutige Welt.